Essen. Marcel Fratzscher prangerte beim Politischen Forum Ruhr die wachsende Ungleichheit an. Eine seiner Ideen: eine Vermögenssteuer.
Gerechtigkeitsfragen sind das Kerngebiet von Marcel Fratzscher – als Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in der Liga deutscher Top-Ökonomen auf dem linken Rang. Statt gleiche Chancen für alle zu gewährleisten, ließe sich in Deutschland allerdings auf vielen Ebenen eine immer größere Ungleichheit beobachten. Da könne „keine Rede mehr von einer funktionierenden sozialen Marktwirtschaft sein“, kritisierte Fratzscher beim ersten Politischen Forum Ruhr 2020 am Montagabend (3.2.) in Essen.
Vorschlag: Kita-Pflicht für alle
Schließlich seien Aufstiegsmöglichkeiten und Teilhabe Kernelemente einer intakten sozialen Marktwirtschaft. Nur genau hier bescheinigte Fratzscher Deutschland schlechte Noten. Viel zu viel hänge davon ab, in welcher Familie man geboren wird. „Wir Ökonomen reden oft von Renditen. Jeder Euro, den sie in die frühkindliche Bildung stecken, hat einen dreifachen Nutzen“, sagte der DIW-Chef. „Da tun wir viel zu wenig.“ Für den 49-Jährigen deshalb eine Lösung: Eine Kita-Pflicht, um früh alle Kinder zu fördern.
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Ebenso warb Fratzscher für eine Vermögenssteuer – ein Vorschlag, der bei einigen der 1000 Zuhörern durchaus aneckte. „Es ist ein riesiges Problem, dass in Deutschland 40 Prozent der Menschen keine Vorsorge leisten können“, begründete er seinen Vorschlag. Kaum ein westlicher Industriestaat weise eine ähnliche Ungleichheit beim Vermögen auf. Der Grund: „Wir haben ein Steuersystem, das Arbeit wenig honoriert, aber Vermögen gering besteuert“, sagte Fratzscher. So sei es schwierig für Menschen mit geringem Einkommen, Geld zurückzulegen.
Großer Pessimismus in Deutschland
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Neben den Ungleichheiten sieht Fratzscher westliche Demokratien wie Deutschland auf große politische Krisen zusteuern – mehr Populismus, mehr Protektionismus und dennoch kein Drang, politische Reformen anzupacken. „Wir haben einen Reformstau in Deutschland“, so Fratzscher. „Erfrischend ernüchternd“ nannte Moderator und NRW-Europaminister Stephan Holthoff-Pförtner (CDU) die Darstellungen des Berliner Makroökonomie-Professors – und merkte damit mit einem Augenzwinkern an, dass Fratzscher ein recht düsteres Bild von den Verhältnissen in Deutschland male.
Düstere Vorstellungen, die offenbar von vielen Deutschen geteilt werden. „Nur in Japan und Frankreich sind die Menschen pessimistischer, was ihre Zukunft angeht“, sagte Fratzscher – trotz Rekordbeschäftigung und wirtschaftlicher Stabilität. Immerhin: Der DIW-Chef selbst gab an, an eine Reform der Marktwirtschaft zu glauben. „Ich blicke optimistisch in die Zukunft.“