Düsseldorf. Erstmals sprach mit Michael Vassiliadis ein SPD-Gewerkschafter beim großen Neujahrsempfang der NRW-CDU - und stellte sich in den Themenwind.
Wer Zweifel hatte, ob es eine gute Idee gewesen ist, erstmals einen Gewerkschafter mit SPD-Parteibuch auf dem traditionellen Neujahrsempfang der NRW-CDU die Hauptrede halten zu lassen, sah diese vermutlich schon nach wenigen Minuten zerstreut. Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Industriegewerkschaft IGBCE, stellte sich vor den rund 800 Gästen im Museum Kunstpalast derart engagiert in den aktuellen Themenwind, dass mancher sogar Friedrich Merz im Publikum begeistert applaudieren gesehen haben will.
Vassiliadis brach eine Lanze für den Industriestandort, für die soziale Marktwirtschaft und für den viel kritisierten „Kohle-Kompromiss“. Das hat man in der Klarheit schon länger nicht mehr gehört, da sich ja auch in der CDU längst viele auf eine baldige Regierungsbeteiligung der grünen Umfrage-Könige einstellen und sich gelegentlich an den Zeitgeist anschmiegen.
"Kleinlicher buchhalterischer Blick auf das Kommissionsergebnis"
Vassiliadis dagegen kritisierte, dass acht von 28 Mitglieder der überparteilichen Kohlekommission, die der Bundesregierung mühsam eine Blaupause für den Ausstieg aus der deutschen Kohleverstromung geliefert hatte, den Konsens bereits aufgekündigt sehen. Weil Kraftwerke zu langsam abgeschaltet würden, weil das neue Steinkohlekraftwerk Datteln 4 doch ans Netz geht und der Tagebau Garzweiler II noch komplett ausgekohlt wird. Vassiliadis nannte das einen „kleinlichen buchhalterischen Blick auf das Kommissionsergebnis". Mehr noch: „Eine Einladung an die militanten Verbände, das was sie tun, als legitim zu erachten.“ Auch die Umweltverbände müssten sich entscheiden: „Will man mitgestalten oder will man Nachrichtensprecher sein.“
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Vassiliadis hatte selbst neun Monate in der Kohlekommission mitgearbeitet. Die Sitzungen hätten im Keller des Berliner Wirtschaftsministeriums bei Reis und Hühnerfrikassee stattgefunden. Einmal sei ein hervorragendes Buffet angerichtet gewesen, „das war aber für den Verband der Windindustrie und subventioniert“, spottete der Gewerkschafter. Tosender Applaus im Saal.
"Mir ist völlig wurscht, welches Steinkohlekraftwerk am Netz ist"
Datteln 4 zu skandalisieren, sei absurd. „Wenn Datteln 4 ans Netz geht, müssen andere Steinkohlekraftwerke raus. Weil das ältere sind, sparen wir CO2“, stellte Vassiliadis klar. Auch die angekündigten milliardenschweren Hilfen für RWE, die Braunkohle-Regionen und die bald arbeitslosen Bergleute verteidigte Vassiliadis mit Blick auf seine Gewerkschaftsmitglieder: „Eine politische Enteignung ihrer Zukunftsperspektiven lasse ich einfach nicht zu.“ Ein Konzernversteher sei er trotz dieser Verteidigungsrede nicht: „Ich bin nicht mit den Vorstandsvorsitzenden befreundet und ich spiele auch kein Golf.“
Irgendwo müsse der Strom auch in den kommenden Jahren herkommen, aber die Netze für die erneuerbaren Energien ließen weiter auf sich warten. „Wir sind jetzt an der Kante“, warnte Vassiliadis. „Wenn wir jetzt nicht voranmachen, landen wir in einer Sackgasse.“
Jetzt bloß nicht sagen: "Hambi ist aus, jetzt gehen wir nach Datteln"
Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), ein Duzfreund von Vassiliadis, stieß ins gleiche Horn: Insgesamt müsse die Gesellschaft „wegkommen von der Kampfrhetorik“. Die Zeiten seien nicht nach Selbstbeschäftigung. Die Wirtschaft trübe sich ein, es sei ein „Alarmsignal“, dass die IG Metall ohne Lohnforderung in die nächsten Tarifverhandlungen gehen wolle. Laschet appellierte an Grüne und Umweltverbände: „Macht aus der Klimafrage keine Generationenfrage, es reißt unser Land auseinander.“
Laschet warnte die militante Szene davor, Auseinandersetzungen ins Ruhrgebiet zu tragen nach dem Motto: „Hambi ist aus, jetzt gehen wir nach Datteln.“ Bei Datteln 4 sei er völlig leidenschaftslos, betonte der Ministerpräsident, er halte sich lediglich an ökonomische und ökologische Grundsätze: „Mir ist das völlig wurscht, welches Steinkohlekraftwerk läuft.“
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Einen Hinweis auf seine bundespolitischen Ambitionen oder öffentliche Gedanken an eine Kanzlerkandidatur gestattete sich Laschet beim Neujahrsempfang nicht. Er empfahl seiner Partei lediglich, Sacharbeit zu verfolgen und keine Personalspekulationen: „Das wünsche ich vom Rhein an die Spree mit liebenswerten Grüßen.“