Düsseldorf. Wieder wurde eine Gerichtsvollzieherin angegriffen, diesmal in Mülheim. Die Opfer fordern jetzt bessere Infos über gefährliche Klienten.

Zwei Tage nach dem tödlichen Messerangriff durch einen Schuldner auf einen Mitarbeiter der Stadt Köln wurden in Mülheim/Ruhr am 3. Adventssonntag eine Gerichtsvollzieherin und der Mitarbeiter eines Schlüsseldienstes laut Polizei bei einem Hausbesuch von einem Mieter körperlich massiv angegriffen. Der Vorfall wurde erst jetzt bekannt und erhöht den Druck auf Justizminister Peter Biesenbach (CDU). Der Politiker hatte schon im Februar angekündigt, den Aufbau einer „Gefährderdatei“ prüfen zu lassen. „Passiert ist nichts. Es gibt bis heute keine Datenbank, auf die Gerichtsvollzieher oder andere Vollstreckungsbeamte zugreifen könnten“, kritisierte SPD-Landtags-Fraktionsvize Sven Wolf am Donnerstag. Auch der Chef des Gerichtsvollzieherbundes in NRW, Frank Neuhaus, forderte den Minister auf, mehr für die Sicherheit der Zwangsvollstrecker zu tun.

Nach Informationen dieser Zeitung hatten acht Polizisten, die von den Opfern per Notruf verständigt worden waren, Mühe, den aggressiven Mieter zu bändigen. Die Obergerichtsvollzieherin soll von dem Angreifer an eine Wand gedrückt worden, der Schlüsseldienst-Mitarbeiter gewürgt worden sein. Der Fall reiht sich ein in eine Kette von Übergriffen auf Vollstreckungsbeamte und städtische Mitarbeiter, die Schuldner aufsuchen. Der 60-Jährige, der am Freitag in Köln einen Mitarbeiter der Stadt tödlich verletzte, soll schon im März einen Amtsarzt und eine städtische Angestellte mit einem Schraubenzieher attackiert haben. Ein Angriff auf eine Gerichtsvollzieherin in Bochum im vergangenen Jahr hatte eine breite Diskussion über einen besseren Schutz für diese Berufsgruppe ausgelöst. Die Schuldnerin aus Bochum war der Polizei als Gewalttäterin bekannt. Die Gerichtsvollzieherin wusste aber nichts von dieser Gefahr.

„Immer mehr Übergriffe und Beleidigungen“

Laut NRW-Justizministerium wurden im Jahr 2018 insgesamt 288 Übergriffe und Beleidigungen gegen Gerichtsvollzieher gezählt. „Tendenz steigend“, betont Frank Neuhaus vom Deutschen Gerichtsvollzieherbund in NRW gegenüber dieser Redaktion. Neuhaus forderte die Politik auf, seinen Kollegen zügig „größtmögliche Einsichtnahme in vorhandene Gefahrenregister“ zu ermöglichen.

Das NRW-Justizministerium erklärte gestern, eine justizinterne „Gefährderdatenbank“ oder der Zugriff auf staatsanwaltschaftliche Verdachtsdaten sei verfassungs- und datenschutzrechtlich „unzulässig“. Alternativ solle ein Auskunftsrecht der Gerichtsvollzieher aus dem Bundeszentralregister geschaffen werden, so das Ministerium. Darin werden unter anderem strafgerichtliche Verurteilungen und besondere gerichtliche Feststellungen eingetragen.

Innenminister will Zugriff auf Gefährder-Daten ermöglichen

Darf man Gerichtsvollziehern und anderen Amtsträgern den Zugriff auf Daten von bekannten Gewalttätern gestatten? Für NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) ist das keine Frage. Natürlich müssten diese Infos jenen zur Verfügung stehen, die auf der Straße oder an Haustüren im Einsatz seien, sagte Reul nach dem tödlichen Messerangriff auf einen Kölner Stadt-Mitarbeiter. Sein Kabinettskollege, Justizminister Peter Biesenbach (CDU), hatte gegenüber dem Landesverband der Gerichtsvollzieher schon Anfang Februar einen Zugriff auf solche Datenbanken in Aussicht gestellt. Außerdem soll eine „Alarm-App“ geprüft werden, mit der die Amtsträger in einer Gefahrensituation Hilfe herbeirufen können.

Praktisch nichts sei seit diesen Ankündigungen geschehen, grollen die SPD-Fraktion im Landtag und der Bund der Gerichtsvollzieher. Verbands-Vorsitzender Frank Neuhaus ist nun überrascht, dass laut Minister Reul plötzlich etwas möglich sein soll, was der Justizminister aus Datenschutzgründen zuletzt für problematisch hielt. „Ich wünsche mir, dass es bald eine direkte Abfragemöglichkeit über die Gefahren gibt, die von einem Schuldner ausgehen“, sagte Neuhaus dieser Redaktion. In Belgien stünden Gerichtsvollziehern solche wichtigen Informationen zur Verfügung. Vorstrafen, Familienverhältnisse und andere Daten lägen den Amtsträgern dort offen, so Neuhaus. Wie wichtig es ist, zu wissen, mit wem man es zu tun hat, zeigt der jüngste Fall in Köln. Der tödlich verletzte Stadt-Mitarbeiter ging ohne diese Kenntnisse zur Wohnung des Täters. Ein halbes Jahr zuvor waren ein Amtsarzt und eine Stadt-Mitarbeiterin von demselben Mann mit einem Schraubenzieher attackiert worden. Sie wurden aber von Polizisten begleitet, die den Angreifer überwältigten.

„Alarm-App“ wurde schon getestet

Auch das Pilotprojekt zu mobilen Alarmgeräten, die Justizminister Biesenbach im Sommer angekündigt hatte, scheint zu stocken. „Bis jetzt ist nicht einmal die Ausschreibung gestartet“, sagte Sven Wolf (SPD) am Donnerstag. Aus der Sicht vieler Gerichtsvollzieher ist ein Pilotprojekt zu „Alarm-Apps“ gar nicht nötig. Die habe es schon in Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt gegeben. Erkenntnisse lägen reichlich vor.

Laut NRW-Justizministerium sind mehrere Maßnahmen zum Schutz von Gerichtsvollziehern ergriffen worden. So sei der Informationsaustausch zwischen Polizei und Gerichtsvollziehern sowie Justiz und Gerichtsvollziehern verbessert worden. Sicherheit und Deeskalation spielten eine größere Rolle bei der Ausbildung von Gerichtsvollziehern. Die Übergriffe würden nun statistisch erfasst und eine „Alarm-App“ vorbereitet.