Essen/Aachen. Aachener Forscher wollen mit einer Seilbahn den Verkehrskollaps in Städten überwinden. Sie schlagen eine Teststrecke in Essen ab 2023 vor.
Die Innenstädte im Ruhrgebiet stöhnen unter dem Autoverkehr. Verstopfte Straßen, Abgase und Schadstoffe belasten die Menschen. Auch der ÖPNV gerät regelmäßig an seine Grenzen, denn auch Busse und Straßenbahnen stehen regelmäßig im Stau. Warum also nicht in die Luft gehen? Forscher der RWTH Aachen wollen mit einem innovativen Konzept den Verkehrskollaps überwinden. Ihre Lösung: Eine Verbindung aus Elektro-Bus und Seilbahn, der „upBus“. Die Vision: Eine Pilotstrecke zwischen der nördlichen Innenstadt von Essen und dem geplanten großen Gewerbegebiet „Freiheit Emscher“ zwischen Essen und Bottrop.
„Essen wäre ein sehr guter Standort für eine Teststrecke“, sagt Tobias Meinert vom Institut für Strukturmechanik und Leichtbau der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen. Und das 1700 Hektar große Areal im Norden der Stadt, auf dem bis 2027 ein neues städtisches und wirtschaftliches Zentrum entstehen soll, sei ein idealer Anknüpfungspunkt für diese Technik, findet Meinert.
Die Idee der Aachener Techniker ist so schlicht wie genial. Es ist eine Verbindung zwischen einer konventionellen Seilbahn und einem autonom fahrenden Bus. „Wir reden über eine Fahrgastzelle für etwa 35 Personen“, erklärt Meinert. In der Simulation funktioniert das bereits prima: Für die Fahrt auf der Straße ist die Kabine mit einem Fahrgestell gekoppelt, das elektrisch angetrieben wird.
Während der Fahrt wird die Kabine in die Luft gehoben
Nähert sich der Bus einer Seilbahnstation, wird er dort während der Fahrt von einem Träger erfasst und automatisch angekoppelt. Zugleich löst sich das Fahrgestell und die Kabine schwebt am Seil über den Stau hinweg. Ein Umsteigen ist nicht nötig. Kommt die Seilbahn an ihren Endpunkt, werden die Kabinen wieder auf ihr Fahrmodul aufgesetzt und können anschließend verschiedene Haltepunkte in der Stadt anfahren.
Seit gut zwei Jahren tüfteln die Wissenschaftler unter Leitung von Prof. Kai-Uwe Schröder an dem komplexen System. Meinert zählt die Vorteile auf: Es ist unabhängig vom Verkehrsaufkommen auf den Straßen, der Aufbau geht vergleichsweise schnell und ist deutlich günstiger, als Straßenbahnschienen zu verlegen oder Tunnel für eine U-Bahn zu graben. Es verbraucht vergleichsweise wenig Energie, die Betriebskosten sind niedrig und die Technik sei sicher. „Kein Verkehrsmittel ist sicherer als eine Seilbahn“, sagt Meinert.
Verkehrsforscher: Das System bietet für Essen große Chancen
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Prof. Rudolf Juchelka, Verkehrsgeograf an der Uni Duisburg-Essen, ist begeistert. Er hält die Idee der Aachener, Bus und Seilbahn zu kombinieren, für innovativ und überzeugend. „Eine Seilbahn kann zwar nicht die Lösung aller ÖPNV-Probleme sein, doch ist sie ein interessantes zusätzliches Element“, sagt Juchelka der WAZ. „Für eine Stadt wie Essen sehe ich da große Chancen.“ Eine Verbindung der City mit „Freiheit Emscher“ oder auch mit der Zeche Zollverein wäre nicht nur verkehrspolitisch sinnvoll, sondern überdies eine Attraktion mit Strahlkraft. „Essen könnte dadurch ein innovatives Image erhalten und zugleich den Norden aufwerten“, meint Juchelka.
Kernelement des Konzepts ist eine raffiniert konstruierte Kupplung, die die Fahrgastzelle mit Seilbahn und Fahrgestell verbindet. Diese Technik haben die Aachener Forscher bereits für die Raumfahrt entwickelt und für ihr System abgewandelt.
Im All verbindet das etwa tellergroße Bauteil zuverlässig Satellitenwürfel miteinander. „Was sich im Weltraum bewährt hat, funktioniert auch auf der Erde“, ist Meinert überzeugt. Der Clou: An das System lassen sich auch statt Personenkabinen problemlos Lastencontainer oder Paketboxen ankoppeln, was den Straßenverkehr zusätzlich entlasten könnte.
Eine Teststrecke könnte 2023 in Betrieb gehen
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Bislang waren Seilbahnen wie in Köln über den Rhein, in Berlin zur Garten-Schau oder in Koblenz zur Festung Ehrenbreitstein eher touristische Attraktionen, die aufgrund ihrer Beliebtheit immer noch in Betrieb sind. In vielen Großstädten werden derzeit Seilbahn-Pläne auch als Teil des ÖPNV geschmiedet, etwa in München, Stuttgart oder Wuppertal. Dort wurde nach Jahren der Vorarbeiten das Projekt im Mai gestoppt. Verkehrsplaner sehen in der Technik die Chance, den verstopften Straßenraum zu entlasten und zusätzliche Kapazitäten zu schaffen.
wuppertals oberbürgermeister- „thema seilbahn ist erledigt“Juchelka hätte sich gewünscht, dass in Wuppertal die Seilbahn gebaut worden wäre. „Dann hätten wir endlich ein echtes Referenzprojekt für ähnliche Vorhaben in Deutschland gehabt“, so der Verkehrswissenschaftler. „Leider gibt es in Deutschland zu viele Bedenkenträger“, meint Juchelka. Er appelliert an Bürgern und Politik, mehr Mut bei der Umsetzung innovativer Verkehrskonzepte zu zeigen.
Derweil arbeiten die Aachener weiter an der Realisierung ihrer Idee. Bis Ende 2020 soll ein Prototyp fertig sein. Erste Testläufe an einem Seilbahnstand in Österreich sollen beweisen, dass der automatische Wechsel vom Bus- in den Seilbahnmodus funktioniert, erklärt Meinert. Ab 2023 soll eine Testanlage installiert werden und die ersten Fahrgäste befördern – gerne in Essen. Tobias Meinert: „Die Technik ist vorhanden, wir könnten morgen anfangen.“
>>>>Die gescheiterte Seilbahn in Wuppertal
In Wuppertal wurden erste Pläne für eine Seilbahn zwischen dem Bahnhof und der Universität auf dem Grifflenberg bereits 2012 vorgelegt. Die Kosten in Höhe von rund 82 Millionen Euro wären zum Großteil durch Förderprogramme gedeckt worden. Unter anderem sollten mit der Bahn 22.000 Studenten schneller zum abseits gelegenen Uni-Gelände kommen.
Mitte 2015 formierte sich mit der Bürgerinitiative „Seilbahnfreies Wuppertal“ Widerstand gegen das Vorhaben. Parallel zur Europawahl im Mai 2019 fand eine Bürgerbefragung statt. Die Wuppertaler stimmten mit 61,6 Prozent gegen die Seilbahn. Daraufhin beerdigte die Stadtspitze die Seilbahnidee. Nun kurven wieder Busse den Berg zur Uni hinauf.