Essen. In Zeiten von Fake News und Expertenfeindlichkeit suchen Forscher verstärkt den Dialog mit der Öffentlichkeit. Fachtagung in Essen
Klimawandel – eine „Erfindung“ der Chinesen? Oder ein Hirngespinst überdrehter Meteorologen? Wenn „alternative Fakten“ wissenschaftliche Erkenntnisse infrage stellen, ist das nicht nur ein Problem für die Forschung. Populistische Politiker versuchen, die öffentliche Meinung mit Zweifeln an wissenschaftlichen Ergebnissen zu beeinflussen und kritische Stimmen verächtlich zu machen. Eine professionelle Wissenschafts-Kommunikation wird daher immer wichtiger, sagt Markus Weißkopf, Geschäftsführer von „Wissenschaft im Dialog“ im Gespräch mit Christopher Onkelbach.
Vom 10. bis 12. Dezember diskutieren in der Messe Essen beim Forum Wissenschaftskommunikation rund 550 Sprecher von Forschungseinrichtungen und Hochschulen über neue Herausforderung an der Schnittstelle zwischen Forschung und Öffentlichkeit.
Herr Weißkopf, die Bundesregierung will Wissenschaftler dazu verpflichten, stärker über ihre Arbeit zu berichten. Ist das sinnvoll?
Weißkopf: Ja, es wäre gut, wenn sich Forscher gleich zu Beginn Gedanken darüber machen, welche gesellschaftliche Relevanz ihre Arbeit hat und wie sie das der Öffentlichkeit erklären. Welche Risiken bestehen, welche ethischen Fragen tauchen auf, welche Methoden werden verwendet? Es ist eine Chance, die Kommunikation gleich mitzudenken.
Besteht nicht die Gefahr, dass Forscher dies als Aufforderung zu mehr Eigenwerbung verstehen?
Das darf natürlich nicht bedeuten, dass am Ende nur wieder eine neue Hochglanzbroschüre entsteht. Aus Hochschulen und Forschungseinrichtungen heraus kann es gute Wissenschafts-Kommunikation geben, die mehr ist als Marketing. Wir wollen Menschen informieren, damit sie ihre eigenen Entscheidungen treffen können.
Sollten nicht die Wissenschafts-Journalisten als kritische Vermittler diese Rolle übernehmen?
Der Wissenschafts-Journalismus ist in der Krise – eine Folge der allgemeinen Medienkrise. Es treibt uns sehr um, dass Institute immer weniger geschulte Ansprechpartner in den Medien finden. Die „sozialen Medien“ sind dafür nur teilweise ein Ersatz.
Was ist gute Wissenschafts-Kommunikation?
Sie ist faktentreu und transparent, was Prozesse, Methoden und Ergebnisse angeht. Wurden Tierversuche durchgeführt? ist das Ergebnis wirklich ein Durchbruch? Wer bezahlt das Projekt? Gibt es womöglich eine Verquickung von Interessen? Unsere Verantwortung als Sprecher der Institutionen wird größer, wenn die Kontrollinstanz der Medien immer mehr wegfällt.
Dennoch gibt es immer wieder Fehlschläge. So zweifelten Lungenärzte kürzlich an der wissenschaftlichen Relevanz der Grenzwerte für Feinstaub. Und der mit viel Getöse präsentierte Bluttest für Brustkrebs des Uniklinikums Heidelberg entpuppte sich als gigantischer Flop...
Ja, das sind dramatisch schlimme Beispiele für misslungene Kommunikation. Aber man muss in Bezug auf Heidelberg festhalten, dass die Pressestelle und andere vor einer Veröffentlichung gewarnt hatten. Dennoch präsentierte die Leitung den fragwürdigen Test.
An wen richtet sich Ihre Kommunikations-Arbeit?
Ein wichtiges Zielpublikum sind Kinder und Jugendliche. Wir wollen sie früh für wissenschaftliche Themen begeistern. Aber auch interessierte Erwachsene sind als Ansprechpartner wichtiger geworden. Denn Wissenschaft spielt eine immer größere Rolle in der Gesellschaft, sie ragt in fast alle Bereiche des Lebens hinein und beeinflusst wichtige politische Entscheidungen. Daher ist es wichtig, dass die Menschen darüber Bescheid wissen, etwa was die neuen Möglichkeiten der Gentechnik angeht oder die Hintergründe der Erderwärmung.
Vertrauen die Menschen den Wissenschaftlern noch?
Wir sehen, dass die Vertrauenswerte stabil sind, selbst in den USA. Unsere repräsentative Umfrage „Wissenschaftsbarometer 2019“ zeigt, dass trotz der Debatte um Fake News und Expertenfeindlichkeit rund die Hälfte der Befragten Wissenschaft und Forschung vertraut. Damit ist das Vertrauen in die Wissenschaft erheblich größer als in Wirtschaft, Medien oder Politik. Die Skeptiker sind in der Minderheit, aber sie sind lauter und einflussreicher geworden.
Sollten sich Wissenschaftler mehr einmischen?
Unsere Umfrage zeigt auch, dass sich drei von vier Deutschen von der Wissenschaft wünschen, sich stärker in die öffentliche Debatte einzumischen, wenn Politiker Forschungsergebnisse nicht berücksichtigen – beispielsweise zum Klimawandel. Die „Scientists for Future“ oder der „March for Science“, die globalen Proteste für Wissenschafts- und Meinungsfreiheit, sind dafür Beispiele.
Warum tun sie es nicht häufiger?
Für Wissenschaftler ist das ein schmaler Grat. Denn Forschung ist ein langwieriges Geschäft und kann nicht immer schnell auf populistische Angriffe reagieren. Doch auch wir verspüren den Druck, dass wir schneller werden und gleichzeitig korrekt bleiben müssen.
Was ist das Motto der Fachtagung in Essen?
Schwerpunkt ist in diesem Jahr die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Kunst. Da gibt es vielfältige und interessante Überschneidungen. So verarbeiten Künstler in Zusammenarbeit mit Forschern Themen wie künstliche Intelligenz, Robotik, Nachhaltigkeit, Klimawandel oder Lebenserwartung. So kann Wissenschaft ein neues Publikum finden.
>>> Wissenschaft im Dialog
Wissenschaft im Dialog (WiD) ist eine gemeinnützige Organisation, die 2000 von den führenden deutschen Wissenschaftsorganisationen gegründet wurde. Sie setzt sich für den öffentlichen Austausch über Wissenschaft und Forschung ein und will dabei möglichst viele Menschen beteiligen. Dafür organisiert WiD Diskussionsveranstaltungen, Schulprojekte, Ausstellungen und Wettbewerbe.
Seit 2009 veranstaltet WiD das „Forum Wissenschaftskommunikation“ als Tagung für Fachkräfte in der Öffentlichkeitsarbeit wissenschaftlicher Einrichtungen. Das zwölfte Forum findet in diesem Jahr vom 10. bis 12. Dezember in der Messe Essen statt.