Düsseldorf. Das Bundesinnenministerium und das BKA wollten angeblich einen wichtigen Zeugen im Fall Anis Amri mundtot machen.

In Düsseldorf ist es zuletzt still geworden um den Fall des Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri, der mit einem Lastwagen zwölf Menschen getötet hatte. Zwar beleuchtet im Landtag noch immer ein Untersuchungsausschuss die Hintergründe des Anschlags vom 19. Dezember 2016. Doch der Fall Amri rückte politisch immer weiter weg nach Berlin. Am Freitag aber war der Name Amri auch in NRW wieder Tagesgespräch. Hintergrund ist die ungeheuerlich anmutende Aussage eines Beamten des Landeskriminalamtes NRW vor dem Amri-Ausschuss des Bundestages. Der LKA-Mann deutete an, das Bundeskriminalamt (BKA) oder sogar der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) persönlich hätten die Ermittlungen gegen den späteren Weihnachtsmarkt-Attentäter womöglich abgewürgt.

Kriminalhauptkommissar Thomas M. ist ein erfahrener Beamter. Der 59-Jährige vom LKA in Düsseldorf gilt als Spezialist für Ermittlungen gegen Extremisten und hat sich zuvor schon beim LKA Bremen einen guten Ruf erarbeitet. Der Mann neigt nicht zur Übertreibung, daher ist das, was er Ende dieser Woche vor dem Bundestags-U-Ausschuss erzählte, absolut ernst zu nehmen.

M. erzählt, das BKA und de Maizières Innenministerium hätten im Jahr 2016, vor dem Anschlag, vielleicht indirekt dazu beigetragen, dass Amri vom Radar der Sicherheitsbehörden verschwinden konnte, indem sie einen wichtigen Zeugen aus dem Umfeld von Amri mundtot machten.

Der Informant „Murat“ machte angeblich „zu viel Arbeit“

Dieser Zeuge, ein altgedienter V-Mann des NRW-Landeskriminalamtes, der „Murat“ genannt wird, soll ab 2015 mehrfach berichtet haben, dass Amri einen Anschlag plante. „Murat“ hat der Polizei angeblich schon viele richtige Hinweise auf salafistische Extremisten gegeben. Umso erstaunter ist LKA-Mann Thomas M., als ein Kollege aus dem Bundeskriminalamt am 23. Februar 2016 bei einer Unterredung beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe die Glaubwürdigkeit von „Murat“ auf einmal in Zweifel zieht. Warum, das könne sich M. bis heute nicht erklären.

Nach der „hitzigen Debatte“ in großer Runde habe er in Karlsruhe noch unter vier Augen mit dem BKA-Beamten gesprochen, berichtet M., der damals das Ermittlungsverfahren gegen die salafistische Abu-Walaa-Gruppe leitete. Dieser habe ihm erklärt, er habe eine Weisung von „ganz oben“ bekommen, das Problem mit dem V-Mann aus NRW zu lösen. Denn der „mache zu viel Arbeit“. Er habe den BKA-Mann dann gefragt, wer denn mit „ganz oben“ gemeint sei. Daraufhin habe ihm der Beamte den Namen eines seiner Vorgesetzten beim BKA genannt und „soweit ich weiß, wurde auch der Innenminister bezeichnet“. Er sei sich sicher, dass sein Gesprächspartner das Innenministerium genannt habe, ob auch der Name des damaligen Innenministers Thomas de Maizière fiel, kann er jedoch nicht mit Sicherheit sagen.

Landtags-Ausschuss verlangt Aufklärung

Das Bundesinnenministerium wies die Vorwürfe, man habe 2016 einen wichtigen Zeugen mundtot gemacht, am Freitag vehement zurück: Der BKA-Beamte habe so etwas nie gesagt. Es sei auch auszuschließen, dass de Maizière oder führende BKA-Mitarbeiter entsprechende Weisungen erteilt hätten. Er bestritt auch, dass - wie von Thomas M. behauptet - aus NRW damals die Bitte gekommen sei, das BKA solle den Fall Amri übernehmen.

Die NRW-Landespolitik ist dennoch alarmiert und auch irritiert. Denn Kriminalhauptkommissar M. war schon mehrfach Zeuge vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss „Amri“ im Landtag. „Er wurde zuletzt im Februar 2019 vernommen und erwähnte die neuen Enthüllungen mit keinem Wort“, wundert sich Daniela Beihl, Obfrau der FDP-Fraktion im Amri-Ausschuss. „Wenn das BKA darauf gedrungen haben sollte, den wichtigsten V-Mann des LKA NRW in der gewaltbereiten Salafistenszene bei seiner Arbeit zu behindern, wirft das neue Fragen auf“, so Beihl.

Erneute Ladung von Thomas de Maizière nicht ausgeschlossen

Am 2. Dezember soll der BKA-Beamte, der die brisanten Informationen ausgeplaudert haben soll, vor dem Untersuchungsausschuss in Düsseldorf befragt werden. Der SPD-Obmann im Ausschuss, Andreas Kossiki, erinnerte am Freitag daran, dass Ex-Minister Thomas de Maizière in der vergangenen Legislaturperiode schon einmal vor den Landtags-Ausschuss treten musste. „Damals erwähnte er mit keinem Wort das, was jetzt in Berlin diskutiert wird“, sagte Kossiki. „Wir behalten uns deshalb vor, Thomas de Maizière erneut zu laden.“

In NRW-Sicherheitskreisen hieß es gestern, die Intervention des BKA – wenn es diese denn gegeben hat – gegen den V-Mann „Murat“ hätte am Ende keine Auswirkungen auf die Zusammenarbeit mit dem Informanten gehabt. „Murat“ sei unter der Bezeichnung „VP01“ weiter von den Landesbehörden eingesetzt worden, insbesondere im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die salafistische Abu-Walaa-Gruppe. (mit dpa)