Essen. SPD nimmt neuen Anlauf zur Absenkung des Wahlalters auf 16. Zustimmung kommt von Schülern, Jugendverbänden und Politikwissenschaftlern

Zehntausende junge Menschen gehen regelmäßig bei den Klimaprotesten auf die Straße. Dieses Engagement für die Bewegung Fridays for Future hat die Debatte um eine Absenkung des Wahlalters erneut befeuert. Ein Gesetzesvorstoß der SPD in NRW für eine Herabsetzung des Mindestalters bei Landtagswahlen auf 16 Jahre trifft auf breite Zustimmung bei Schülern, Jugendverbänden, Stiftungen und Politikwissenschaftlern. Allerdings machen Juristen auch verfassungsrechtliche Bedenken geltend.

„Ich halte eine Absenkung des Wahlalters für absolut gerechtfertigt und geboten“, sagt der Düsseldorfer Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann. „Es ist nicht einzusehen, warum 16-Jährige bei Kommunalwahlen ihre Stimme abgeben dürfen, aber nicht bei Landtagswahlen“, sagt Alemann der WAZ und betont: „Ich bin unbedingt dafür, ein solches Signal an die Jugendlichen auszusenden.“

Hohe Wahlbeteiligung bei Erstwählern

Ähnlich argumentiert Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler an der Uni Duisburg-Essen. „Jüngere Wähler sind politisch viel interessierter als zuvor. Die Erstwahlbeteiligung belegt das, sie ist extrem hoch.“ Was neu sei: „Sie sind erstmals für etwas, für Klimaschutz und Bewahrung des Planeten, und nicht gegen etwas.“

Bundesweit engagieren sich rund 300.000 Schülerinnen und Schüler bei den Klimademonstrationen, heißt es im SPD-Gesetzesantrag. In NRW seien es rund 30.000. Daher „soll der jüngeren Generation die Möglichkeit der direkten politischen Beteiligung gegeben werden“. Die frühere rot-grüne Landesregierung war mit diesem Ziel vor einigen Jahren gescheitert. Sie verfehlte die für eine Verfassungsänderung nötige Zwei-Drittel-Mehrheit.

Vier Bundesländer erlauben Wahl mit 16

In NRW dürfen 16- und 17-Jährige zwar bei Kommunalwahlen an die Urnen gehen, nicht aber bei Landtagswahlen. Dies ist in einigen Bundesländern anders: In Bremen, Hamburg, Brandenburg und Schleswig-Holstein gilt das Wahlrecht ab 16. Allerdings dürfen sie nur das aktive Wahlrecht ausüben, nicht das passive. Das bedeutet, sie können sich nicht selbst zur Wahl stellen.

Prof. Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler an der Uni Duisburg-Essen.
Prof. Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler an der Uni Duisburg-Essen. © FFS | Lars Heidrich

Die Erwartungen, dass eine Absenkung des Wahlalters die großen Parteien stärken werde, dämpfen die Forscher: „Es ist nicht sicher, ob sich die Stimmen der Jugendlichen im etablierten Parteiensystem wiederfinden“, so Korte. Ob SPD und CDU davon profitieren würden, sei fraglich, sagt auch von Alemann. Beide Parteien hätten eine „überalterte Wähler- und Mitgliederschaft.“ Das sei für Erstwähler nicht unbedingt attraktiv. Doch dass sie deshalb in Massen zu den Rändern des politischen Spektrums streben würden, glauben die Politikwissenschaftler nicht.

Jurist: Verfassungsrechtlich bedenklich

Juristisch sei eine Absenkung des Wahlrechtsalters indes bedenklich, sagte Ulrich Vosgerau von der Uni Köln bei einer Anhörung zum Thema im Landtag. Laut Grundgesetz sind Deutsche bei Bundestagswahlen wahlberechtigt, wenn sie das 18. Lebensjahr vollendet haben, führte er aus. „Daran könnte der Landtag NRW nichts ändern“. Möglich wäre allenfalls eine Art „Volljährigkeits-Zersplitterung“ oder eine „besondere nordrhein-westfälische Untervolljährigkeit im Hinblick auf das aktive Wahlrecht zum Landtag“, so der Jurist. „Die Frage ist, ob dies sinnvoll und verfassungsrechtlich unbedenklich wäre.“ Sein Fazit: Der Vorschlag der SPD sei „weithin ungereimt“ und schaffe womöglich rechtliche Folgeprobleme. Vosgerau schlägt daher vor, den entsprechenden Artikel der NRW-Landesverfassung „einfach so zu lassen, wie er ist“.

Der Politikwissenschaftler Prof. Ulrich von Alemann bei einer Vortragsveranstaltung in Oberhausen.
Der Politikwissenschaftler Prof. Ulrich von Alemann bei einer Vortragsveranstaltung in Oberhausen. © FFS | Gerd Wallhorn

Damit löst er jedoch den Protest der direkt Betroffenen aus. Die Landesschülervertretung beklagt, dass sich Jugendliche politisch nicht einbringen könnten. „Gleichzeitig wird über eine wachsende Politikverdrossenheit der Jugend geklagt.“ Nur die Möglichkeit, sich einzubringen und die aktuelle Situation zu verändern, erzeuge Interesse und die Motivation, sich politisch zu engagieren, so die Schülervertreter.

Verbände plädieren für Wahlrecht ab 14

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Auch der Landesjugendring, die Arbeitsgemeinschaft von 25 Jugendverbänden in NRW, begrüßt den SPD-Vorstoß: „Junge Menschen haben etwas zu sagen – und müssen gefragt und gehört werden. Schließlich wird von ihnen erwartet, die Gesellschaft in Zukunft zu gestalten.“ Wie das Kinderhilfswerk fordert auch der Verband auf lange Sicht eine Absenkung des Wahlalters auf 14 Jahre. Junge Menschen sollten nicht nur „Zaungäste der Politik“ sein dürfen.

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Von der Wissenschaft erhält die Jugend Unterstützung. Die 16-Jährigen seien grundsätzlich fähig, ihr Wahlrecht verantwortungsvoll wahrzunehmen. „Die Jugendforschung bestätigt, dass Jugendliche heute reif, informiert und interessiert sind“, sagt Karl-Rudolf Korte. Für die Parteien komme es darauf an, die jungen Leute von ihrer Politik zu begeistern.

Korte: Parteien brauchen Brückenbauer für die Jugend

„Eine Koppelung zwischen der politischen Jugendbewegung und der Partei wäre ein idealer Ansatz“, so Korte. „Dafür sind vertrauenswürdige Personen wichtig.“ Solche „Brückenbauer“ könne es allerdings in jeder Partei geben. „Man kann nicht sagen, dass allein die Grünen profitieren würden.“ Ähnlich sieht es Ulrich von Alemann: „Die SPD möchte ein Signal setzen. Ob ihr das am Ende aber zugute kommt, möchte ich bezweifeln.“

>>>> Appell der Bertelsmann Stiftung

Die Bertelsmann Stiftung plädiert in einer Stellungnahme für den Landtag für eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre. Das sei nicht nur ein jugendpolitisch wichtiges Thema, sondern mit Blick auf die „sozial gespaltene und sinkende Wahlbeteiligung ein zentraler Ansatzpunkt“, so Robert Vehrkamp, zuständig für das Programm „Zukunft der Demokratie“ bei der Stiftung.

Da die erste Wahl wegweisend für das spätere Wahlverhalten sei, könne eine Absenkung des Alters die Wahlbeteiligung auf Dauer steigern. Die Erfahrung in anderen Bundesländern zeige: „Wo Jugendliche mitgestalten dürfen, sind sie motiviert, sich zu informieren und sich mit politischen Inhalten auseinanderzusetzen.“