Essen. NRW-Justizminister fordert verstärkten Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Kampf gegen Kinderpornografie und Hassbotschaften im Netz.
Künstliche Intelligenz wird das Leben und die Arbeitswelt verändern wie keine andere Technologie zuvor. Darin sind sich viele Experten einig. Doch die fortschreitende Digitalisierung bietet nicht nur Chancen, sondern birgt auch Risiken. So können mit ihrer Hilfe Strafverfolger riesige Datenmengen durchforsten, etwa bei der Bekämpfung von Internet-Kriminalität (Cybercrime) oder bei der Fahndung nach Kinderpornografie. Auf der anderen Seite steht die wachsende Furcht vor einem allwissenden Staat, der sich Zugang zu privaten Daten verschafft. Wie lässt sich das Potenzial der Technologie nutzen und wo liegen die ethischen und datenschutzrechtlichen Grenzen?
Dürfen wir alles, was wir können, weil wir es können? Mit dieser Frage zielte Bodo Hombach, Präsident der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik (BAPP), in seiner Einladung ins Zentrum der Debatte um künftige Einsatzfelder von künstlicher Intelligenz (KI).
Biesenbach: Cybercrime ist ein Wachstumsmarkt
„Mehr als Alexa: Künstliche Intelligenz im Dienst von Justiz und Strafverfolgung“ lautete denn auch das Debattenthema, zu der die Bonner Akademie NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU), Thomas Langkabel von Microsoft Deutschland sowie Carla Huststedt, Leiterin des Projekts „Ethik der Algorithmen“ bei der Bertelsmann Stiftung, ins Essener Museum Folkwang eingeladen hatte. Moderiert wurde die Expertenrunde vor einem Publikum von Interessierten und Lesern von WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock.
Justizminister Biesenbach lenkte den Blick auf die Chancen der Digitalisierung bei der Verfolgung und Bekämpfung von Verbrechen. „Zweifellos ist Cybercrime ein riesiger Wachstumsmarkt. Studien haben bestätigt, dass knapp 70 Prozent der Unternehmen und Institutionen sowie jeder zweite deutsche Internetnutzer bereits Opfer von Cybercrime geworden sind“, so Biesenbach. Die zunehmende Vernetzung erleichtere Kriminellen die Arbeit.
Riesige Datenmengen überfordern Ermittler
Die Landesregierung habe die Gefahr erkannt. Erst im vergangenen Jahr habe er das Personal der „Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime NRW“ (ZAC) vervierfacht, so Biesenbach. „Wir dürfen dabei nicht stehen bleiben, begangene Straftaten mit analogen Mitteln zu verfolgen“, betonte der Minister. Sein Appell: „Wir müssen künstliche Intelligenz in den Dienst von Justiz- und Strafverfolgung nehmen.“
Beispiel Kinderpornografie: Die riesigen Datenmengen führten dazu, dass in nur 228 von 1895 Ermittlungsverfahren Beweismittel ausgewertet wurden, so Biesenbach. Mehr als 550 Durchsuchungsbeschlüsse seien noch nicht vollstreckt. Missbrauchsfälle könnten dadurch unentdeckt bleiben.
Der Mensch soll Entscheidung nicht Maschine überlassen
Der Kampf gegen Kinderpornografie und Internet-Kriminalität könne nur digital geführt werden, betonte der Minister. Er verwies auf ein Forschungsvorhaben der NRW-Justiz mit Experten von Microsoft zur automatisierten Erkennung von kinderpornografischem Bildmaterial. Ziel ist ein lernender Algorithmus, der aus großen Datenmengen strafbares Bildmaterial herausfiltert, Täter und Opfer wiedererkennt und dadurch die Strafverfolgung erleichtert. Er sei zuversichtlich, dass das System bereits Ende des Jahres einsatzbereit sein werde.
Carla Hustedt betonte, dass die Technologie nicht intelligent, sondern vielmehr dumm sei. „Dahinter stehen Menschen. Wir müssen fragen, wer KI einsetzt und zu welchem Zweck.“ Nötig sei jetzt vor allem eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, wo rote Linien eingezogen werden müssen. „Wir brauchen zudem eine Kontrolle der Systeme und mehr Kompetenzen bei den Nutzern.“
Der Spion in den eigenen vier Wänden
Thomas Langkabel von Microsoft forderte „Leitplanken“ für den Einsatz der künstlichen Intelligenz. „Auch wir Hersteller sind in einer großen Verantwortung“, sagte er. „Wir sollten vor dem Hintergrund unserer Werte überlegen, in welchen Szenarien wir solche Systeme zulassen wollen.“ Eine permanente Überwachung der Menschen sollte man keinesfalls „dem Markt überlassen“.
Minister Biesenbach unterstützte die Forderung nach einem konsequenten Datenschutz und forderte am Ende die Zuhörer auf, selbst aktiv zu werden. „Überlegen Sie, wann Sie Alexa einschalten. Das ist der Spion in Ihrem eigenen Haus.“
>>>> Akademie für praktische Politik
Die Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik (BAPP) wurde im Herbst 2011 als An-Institut der Uni Bonn anerkannt. Die Akademie ist eine neuartige Lehr- und Forschungseinrichtung in Deutschland, die aktuelle Themen und Fragestellungen im Spannungsverhältnis von Wirtschaft, Medien und Politik analysiert, diskutiert und Lösungsansätze anbietet. Die BAPP betreibt sowohl Weiterbildung als auch Forschung.