Essen. Deutschlands Nahverkehrsunternehmen fordern Milliardensummen für den Ausbau des ÖPNV. Nur so könne die Verkehrswende gelingen.
Das Klimakabinett der Bundesregierung will heute das mit Spannung erwartete Maßnahmenpaket vorlegen, mit dem Deutschland nationale und international verabredete Klimaziele noch erreichen will. Kurz vor der Bekanntgabe der künftigen Klimaschutz-Strategie fordert der Verband deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) Milliardeninvestitionen für den Ausbau des Nahverkehrs in Deutschland. „Wenn der ÖPNV eine relevante Rolle bei der Erreichung der Klimaschutzziele und in der Verkehrswende spielen soll, brauchen wir massive Investitionen in neue Fahrzeuge und in unsere Infrastruktur. Wir müssen dabei klotzen und nicht kleckern“, sagte der Präsident des VDV, Ingo Wortmann, der WAZ.
Verband repräsentiert 600 Verkehrsunternehmen
Wortmann bezifferte den notwendigen Betrag auf bundesweit mindestens 10 bis 15 Milliarden Euro für die nächsten Jahren. „Entscheidend ist, dass die Mittel zusätzlich zu bestehenden Förderungen fließen und dauerhaft zur Verfügung stehen“, sagte der VDV-Präsident. Nur so sei es realistisch, das Nahverkehrsangebot bis 2030 um 30 Prozent zu steigern. Die 30-Prozent-Marke ist ein selbst gestecktes Ziel der im VDV organisierten rund 600 Verkehrsunternehmen.
Auf die Frage, woher das Geld kommen soll, sagte Wortmann: „Aus öffentlichen Mitteln.“ Möglich seien jedoch auch alternative Finanzierungsmodelle auf kommunaler Ebene. So könnten die Städte nach dem Vorbild Wiens eine Art U-Bahn-Steuer für ortsansässige Unternehmen einführen und das Parken in den Innenstädten verteuern. Die Überschüsse könnten dann wie in der österreichischen Hauptstadt in den Nahverkehr fließen. Wien gilt mit einem ÖPNV-Anteil von 38 Prozent am Gesamtverkehr europaweit als Musterbeispiel einer erfolgreichen Mobilitätswende.
„Rabatte auf Tickets erst als letzter Schritt“
Wortmann riet dazu, Bus- und Bahntickets nicht auf die Schnelle zum Schnäppchenpreis anzubieten. „Ein 365-Euro-Jahresticket, das jetzt viele fordern, kann höchstens der letzte Schritt sein. Zuerst müssen wir das Angebot ausbauen und die Finanzierung sichern“, sagte Wortmann. Auch Wien habe die Preissenkung über 20 Jahre lang vorbereitet.
Der VDV-Präsident warnte zudem vor übertriebenen Erwartungen an die Rolle des ÖPNV in der Verkehrswende. Allein der Bau einer neuen Straßenbahnstrecke dauere unter momentanen Bedingungen zehn Jahre. Elektrobusse seien in nennenswerter Zahl ebenfalls erst in einigen Jahren auf dem Markt zu erwarten. „Wenn wir das Angebot erweitern wollen, kommen wir am Ausbau der Bus-Flotten also nicht vorbei“, sagte Wortmann. Moderne Diesel-Busse seien ein wirksames Mittel, die Luft in den Städten zu verbessern. Wortmann: „Ein Euro-6-Diesel-Bus für 100 Fahrgäste stößt nicht mehr Stickoxide aus als ein Pkw.“
Riesiger Nachholbedarf bei der Modernisierung
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Zur Frage, welchen finanziellen Beitrag die Verkehrsunternehmen selbst leisten können, sagte Wortmann: „Die Unternehmen haben bereits über viele Jahre die Kosten gesenkt, da ist nicht mehr viel zu holen.“ Der ÖPNV sei seit vielen Jahren unterfinanziert. „Wir haben einen riesigen Nachholbedarf bei der Modernisierung unserer Infrastruktur“, so Wortmann. Allerdings sollten kommunale Unternehmen genau prüfen, wo sie zusammenarbeiten könnten, etwa beim gemeinsamen Einkauf.
Auch müsse man darüber nachdenken, liebgewonnene, aber kostspielige Beteiligungen außerhalb des Nahverkehrssektors abzustoßen. Wortmann: „Wenn wir wachsen, sollten wir schlank wachsen.“