Düsseldorf . Vor einem Jahr räumten Tausende Polizisten die Baumhäuser im Hambacher Forst. Offiziell wegen Brandschutzmängeln. Ein gezielter Vorwand?
Die umstrittene Räumung des Hambacher Forsts vor knapp einem Jahr durch Tausende Polizeibeamte hat für die schwarz-gelbe Landesregierung ein parlamentarisches Nachspiel. Auf Antrag der Opposition müssen Innenminister Herbert Reul und Bauministerin Ina Scharrenbach (beide CDU) kommende Woche im Landtag Vorwürfe entkräften, sie hätten die Öffentlichkeit getäuscht und eine rechtliche Begründung für das Vorgehen gegen Waldbesetzer im rheinischen Braunkohle-Revier konstruiert. Die SPD hat am Montag bei der Parlamentsverwaltung entsprechenden Anträge gestellt.
Nach Klage eines Umweltaktivisten musste die Landesregierung zuletzt zwei Gutachten einer Anwaltskanzlei aus Münster veröffentlichen, die seit über einem Jahr unter Verschluss gehalten worden waren. Darin wurden verschiedene Rechtsgrundlagen zur Räumung der Baumhäuser im Hambacher Forst durchgespielt und ein baurechtliches Einschreiten empfohlen. Bezugspunkt war dabei die vom Energiekonzern RWE zum 1. Oktober 2018 geplante Rodung des Waldstücks für die Fortsetzung des Braunkohletagebaus.
Reul und Scharrenbach hatten dagegen behauptet, die Räumung der Baumhäuser erfolge allein aus Gründen des Brandschutzes, diene dem Schutz der Aktivisten und habe mit der von RWE geplanten Rodung nichts zu tun. Die SPD kritisierte, dass die Landesregierung „gezielt einen passen Rechtsgrund für eine Räumung gesucht“ und die Öffentlichkeit belogen habe, um nicht als Handlanger von RWE dazustehen.
Die wichtigsten Fragen:
Was steht in den Gutachten?
Das NRW-Innenministerium hat Anfang August 2018 bei einer Münsteraner Anwaltskanzlei einen rechtlichen Vermerk in Auftrag gegeben, der beleuchtet, unter welchen Umständen die Polizei die Baumhäuser von Waldbesetzern im Hambacher Forst räumen könnte. Da andere Eingriffsrechte nicht in Frage kamen, wurde ein Vorgehen aus bauordnungsrechtlichen Gründen empfohlen. In einem weiteren Gutachten für das NRW-Bauministerium wurden die bei einem Ortstermin Ende August 2018 festgestellten Mängel an den Baumhäusern baurechtlich bewertet.
Warum werden die Gutachten erst jetzt bekannt?
Die Landesregierung hat die Einschätzungen der Anwaltskanzlei ein Jahr lange unter Verschluss gehalten. Erst nach der Klage eines Umweltaktivisten mussten sie veröffentlicht und auch dem Landtag zugeleitet werden. Die Landesregierung betont, man habe lediglich „die rechtlichen Rahmenbedingungen eines Einschreitens durch externe Berater prüfen lassen“.
Was macht die Gutachten so brisant?
Von Ende September bis Anfang Oktober 2018 ließ die Landesregierung mehr als 80 Baumhäuser im Hambacher Forst durch täglich bis zu 3000 Polizeibeamte räumen. Es war einer der größten Polizei-Einsätze der Landesgeschichte. Offiziell galt der fehlende Brandschutz in den Baumhäusern als Grund für Räumung und Abriss. Ein Zusammenhang mit der bevorstehenden Rodungssaison für den Braunkohle-Tagebau wurde bestritten. „Das hat mit der Baumrodung gar nichts zu tun. Das werfen die Leute ja alles durcheinander“, sagte Innenminister Herbert Reul (CDU) am 23. September 2018. Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) betonte am 14. September 2018 im Landtag, die Räumung sei wegen Gefahr für Leib und Leben der Waldbesetzer geboten.
Warum sollte die Landesregierung einen Vorwand gesucht haben?
Der Energiekonzern RWE hatte am 2. Juli 2018 bei den zuständigen Kommunalbehörden der Stadt Kerpen und der Gemeinde Merzenich den Antrag gestellt, den von Waldschützern besetzten Hambacher Forst noch vor Beginn der Rodungssaison am 1. Oktober 2018 zu räumen. Beide lehnten dies – wie später auch die Aachener Polizei – als unverhältnismäßig ab. Die Landesregierung zog die Zuständigkeit an sich, holte besagte Gutachten ein und wies die Bauämter in Kerpen und Düren schließlich an zu räumen. Hintergrund dürfte die Sorge im Innenministerium gewesen sein, dass es beim Rodungsstart ansonsten zu Schlachten zwischen Polizei und autonomer Szene kommen könnte. In der öffentlichen Kommunikation wollte die Landesregierung jedoch nicht als „Erfüllungsgehilfe von RWE“ dastehen.
Waren Brandschutz-Mängel an Baumhäusern die einzige Möglichkeit, um gegen illegale Waldbesetzer vorgehen konnte?
Im Nachhinein hat sich der Brandschutz als schlechter Vorwand erwiesen. Die Öffentlichkeit hielt das von vornherein für durchsichtig. Außerdem stellte das Oberverwaltungsgericht später klar, dass die Polizei den Hambacher Forst auch ohne Rückgriff auf den Brandschutz hätte räumen können, da die zum Teil militanten Waldbesetzer das friedliche Versammlungsrecht nicht für sich beanspruchen könnten.
Warum wurde der Hambacher Forst geräumt, aber nicht gerodet?
Das Oberverwaltungsgericht hat am 5. Oktober 2018 völlig überraschend beschlossen, dass die für Mitte Oktober erwartete Abholzung des Restwaldes zunächst gestoppt werden müsse. Es gab - anders als zuvor das Verwaltungsgericht Köln - einem Antrag der Umweltschutzorganisation BUND statt. Mit der Rodung müsse gewartet werden, bis über eine Klage gegen den Hauptbetriebsplan für den Braunkohleabbau der Jahre 2018 bis 2020 entschieden worden sei. Vorkommen der Bechsteinfledermaus und des großen Mausohrs sollen den Wald zum schützenswerten Naturraum machen. Inzwischen ist eine Rodung auch politisch nicht mehr gewollt, da die Braunkohle-Verstromung im Tagebau Hambach schnellstmöglich abgewickelt werden soll.