Essen/Gelsenkirchen. NRW-Polizeibeamte werden noch in diesem Jahr mit Körperkameras ausgestattet. Eine Studie belegt die deeskalierende Wirkung der Kameras.

Eigentlich hätte die Polizistin ihre Bodycam abschalten müssen, als sie feststellte, dass keine Gefahr mehr bestand. Die Körperkameras sollen zum Schutz der Polizisten dienen, für ihren Einsatz gibt es enge rechtliche Grenzen. Doch in der Hektik am Tatort eines Gewaltverbrechens vergaß die Beamtin offenbar, die Aufnahme zu stoppen. Im späteren Prozess gegen eine 60-Jährige wegen Totschlags an ihrem Mann zweifelte die Verteidigung denn auch die rechtliche Zulässigkeit des Videos an. Das Gericht entschied sich dennoch anders. Zwar habe die Beamtin gegen das Polizeigesetz verstoßen. Die Aufklärung des Totschlagsverbrechens wiege aber schwerer als der Gesetzesverstoß.

Tests auch in Duisburg-Hamborn

In sechs Polizeiwachen wurden Bodycams im Streifendienst eingesetzt und wissenschaftlich begleitet: Duisburg-Hamborn, Düsseldorf-Stadtmitte, Köln-Deutz, Köln-Mülheim, Siegen und Wuppertal-Barmen.

Die Kameras wurden nach dem Zufallsprinzip in der einen Hälfte der Dienstschichten mitgeführt, in der anderen Hälfte nicht. Die Entscheidung über das Auslösen der Bodycam lag allein bei den Beamten.

Diese Szene aus dem Polizeialltag belegt, wie kompliziert der Einsatz von Bodycams aus Sicht der Behörden mitunter sein kann. Die alte rot-grüne Landesregierung gab daher eine umfangreiche Studie zur Wirksamkeit von Bodycams im Wachdienst der NRW-Polizei in Auftrag. Die schwarz-gelbe Koalition in Düsseldorf führte das Projekt weiter.

In sechs Pilotwachen (siehe Infokasten) wurden dazu zwischen Mai 2017 bis Januar 2018 Bodycams im Streifendienst getestet. Forscher der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Gelsenkirchen führten Gespräche mit insgesamt 500 Polizeibeamten, werteten die Videoaufnahmen ihrer Kameras aus und analysierten, ob sich das Einsatzverhalten der Polizisten mit oder ohne Kamera unterscheidet.

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Das Ergebnis der Studie liegt jetzt vor. Zentrale Erkenntnis: Bodycams können im Einsatz eine deeskalierende Wirkung entfalten. „In Einzelfällen wurden unerwünschte Nebenwirkungen beobachtet, jedoch liegen keine Hinweise auf eine systematische Gefährdung von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten durch den Einsatz von Bodycams vor“, heißt es in dem 150-seitigen Bericht. Die Kameras, die in der Regel sichtbar an der Uniform getragen werden, beeinflussen jedoch auch das Verhalten der Beamten. Entgegen der Erwartung liegt die Zahl der Übergriffe auf Polizisten mit Bodycam nämlich überraschend höher als bei den Beamten, die im Testzeitraum ohne Bodycam im Einsatz waren. Als Grund für diesen „erwartungswidrigen Befund“ insbesondere bei Polizistinnen geben die Forscher an, dass sich mancher Beamte mit Kamera deutlich defensiver verhalten habe, was tätliche Angriffe auf die Beamten eher begünstigt hätte.

Keine Gesetzmäßigkeiten

Ein gemischte Urteil fällen die an der Studie beteiligten Polizeibeamten über die neuen Hilfsmittel. Die Kameras werden von je einem Drittel der Beamten als positiv, neutral oder negativ bewertet. Auch deshalb sollten Polizisten bereits während der Aus- und Fortbildung mit der sinnvollen Anwendung der Technik vertraut gemacht werden, raten die Forscher. Polizeibeamte solle zudem ein großer Ermessensspielraum bei der Nutzung der Bodycam eingeräumt werden. Polizeiliche Einsatzlagen seien nunmal „hochkomplex und vielschichtig“. Außerdem habe sich in der Studie keine „belastbare Gesetzmäßigkeit“ ergeben, in welchen Fällen der Einsatz der Bodycams Wirkung zeige und in welchen nicht. In der Bevölkerung werde der Einsatz der Kameras „grundsätzlich positiv“ bewertet.

Die Arbeit der Gelsenkirchener Wissenschaftler gilt als richtungsweisend auch für andere Polizeibehörden in Deutschland. „Erstmals konnten durch die nun vorliegende Studie belastbare Erkenntnisse für polizeirechtliche, polizeistrategische und polizeitaktische Entscheidungen im deutschsprachigen Raum gewonnen werden“, betonte der Sprecher des Forschungsteams, der Kriminologe Stefan Kersting.

In den USA dienen Bodycams dem Schutz der Bevölkerung

Die Wissenschaftler beschäftigten sich auch mit Erkenntnissen aus Ländern, in denen die Bodycams schon über längere Zeiträume eingesetzt werden. Die Forscher kamen dabei zu dem Schluss, dass Zielsetzung und Rahmenbedingungen des Einsatzes in anderen Ländern sehr unterschiedlich seien: Während beispielsweise in den USA mit dem Einsatz der Bodycam der Schutz der Bevölkerung vor Polizeigewalt beabsichtigt ist, gehe es in NRW ausschließlich um den Schutz der Polizisten vor Übergriffen. In den USA werde zudem in der Regel die gesamte Dienstschicht aufgezeichnet, in NRW soll die Bodycam ausschließlich zur Deeskalation zum Einsatz kommen.

Das NRW-Innenministerium kündigte am Freitag an, den flächendeckenden Einsatz von Bodycams noch in diesem Jahr voranzutreiben.