Essen. Droht ein schlechteres ÖPNV-Angebot? Für den Fall einer Nullrunde bei den Ticketpreisen ja, warnen zwei Nahverkehrschefs aus dem Ruhrgebiet.
Die Chefs großer Nahverkehrsbetriebe im Ruhrgebiet warnen vor gravierenden Einschnitten im ÖPNV-Angebot. Sollte sich die Politik mit ihrer jüngsten Forderung nach einer Nullrunde bei den Ticketpreisen im Januar 2020 durchsetzen, werde es in einigen Städten zwangsläufig zu einer Verschlechterung des Angebots kommen, kündigten Ruhrbahn-Chef Michael Feller und der Verkehrsvorstand der Dortmunder Stadtwerke, Hubert Jung, im Gespräch mit der WAZ an.
„Deckungslücke darf nicht größer werden“
Den finanziell angeschlagenen Revierkommunen sei schon jetzt kaum mehr als der übliche Verlustausgleich der Nahverkehrsdefizite abzuverlangen, betonte Feller. „Sollte diese Deckungslücke aber noch größer werden, wäre das in vielen Fälle wohl nur durch eine Streichung von Linien oder eine Ausdünnung von Takten abwendbar“, so der Ruhrbahn-Chef. Feller verwies auf das Beispiel Mülheim. Dort drohen wegen der angespannten Haushaltssituation der Stadt schon jetzt radikale Einschnitte im ÖPNV-Netz.
Derzeit erwirtschaften die Verkehrsbetriebe im Schnitt rund Zweidrittel ihrer Kosten selbst. „Wollten wir kostendeckend fahren, müssten die Tickets 50 Prozent teurer werden“, so Hubert Jung. Das sei am Markt nicht durchsetzbar. Jung: „Da würden uns unsere Kunden die Tickets wieder zurückgeben.“
Mit ihrem Vorstoß reagieren die beiden ÖPNV-Bosse auf ein Veto der Verbandsversammlung des Verkehrsverbundes Rhein Ruhr (VRR) vom Juli. Dort sollte – wie üblicherweise stets vor der Sommerpause – die Tarifstruktur und Preisgestaltung des kommenden Jahres für den gesamten VRR-Raum festgelegt werden. In der Regel geschieht das geräuschlos. Überraschend aber blockierte das VRR-Kontrollgremium mit der Mehrheit von CDU und Grünen diesmal die Preiswünsche von VRR-Verwaltung und Verkehrsbetrieben. Dem Vernehmen nach ging es um Aufschläge von bis zu vier Prozent. Die Entscheidung wurde bis September ausgesetzt.
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Begründet haben CDU und Grüne, die im VRR-Kontrollgremium eine Koalition bilden, ihre ungewöhnlichen Aktion in einem gemeinsamen Positionspapier. Darin heißt es unter anderem: „Die Entwicklung der letzten Jahre hat gezeigt, dass eine stetige Preisentwicklung am Markt nicht weiter so umsetzbar ist.“ Zugleich bemängeln beide Parteien, dass es von Seiten der im VRR organisierten Verkehrsunternehmen keine wirkliche Transparenz über die Kostenentwicklung im örtlichen ÖPNV gibt.
Steigende Energie- und Personalkosten
Michael Feller, der auch Vorsitzender des VRR-Unternehmensbeirats ist, verwies auf millionenschwerer Modernisierungsmaßnahmen sowie steigende Energie- und Personalkosten, die die Verkehrsbetriebe schultern müssten. „Da kommt eine enorme Bugwelle auf uns zu“, sagte der Ruhrbahn-Chef. Nach Angaben beider Unternehmen müssen allein in Dortmund und bei der Ruhrbahn (Essen und Mülheim) in den nächsten Jahren Stadt- und Straßenbahnwagen im Wert von über 350 Millionen ausgetauscht werden.
Die beiden Verkehrsmanager zeigten sich zugleich kompromissbereit. „Mit einer Erhöhung von durchschnittlich knapp zwei Prozent wären wir schon zufrieden“, betonte Hubert Jung. Damit orientieren sich Ruhrbahn (Essen/Mülheim) und Dortmunder Stadtwerke an der Tarifsteigerung von 2019. Im Januar hatte der VRR die Ticketpreise um durchschnittlich 1,9 Prozent erhöht. Zuvor waren die VRR-Tarife teils deutlich stärker als die Lebenshaltungskosten gestiegen, etwa im Jahr 2015 um 3,8 Prozent.
Mehr Menschen in Busse und Bahnen zu locken und Straßen und Umwelt zu entlasten – das kostet zusätzliches Geld. Darin sind sich Politik und Experten einig. Die Ruhrbahn erhält derzeit Millionenbeträge aus dem Förderprogramm „Saubere Luft“. Sechs Linien wurden damit auf einen Fünf-Minuten-Takt umgestellt, zudem gab es Dauertickets für Neukunden zum halben Preis. Das Programm wirkt. Die Fahrgastzahlen steigen. Die Förderung läuft allerdings in anderthalb Jahren aus.
Derzeit gibt auch das Land viel Geld für die Ertüchtigung des Nahverkehrs aus. Für die Sanierung des Stadt- und Straßenbahnnetzes in NRW-Städten steht bis 2031 ein Förderbeitrag von insgesamt eine Milliarde Euro zur verfügung. Dortmund erhält aus dem Fördertopf insgesamt 96 Millionen Euro, die Ruhrbahn über 113 Millionen. Investitionen in Gleise, Signalanlagen und Digitaltechnik müssen von den Verkehrsbetrieben allerdings anteilig kofinanziert werden.
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„Man muss auch über neue Finanzierungsmodelle nachdenken, wenn man den ÖPNV ausbauen will“, mahnt deshalb Hubert Jung. Der Dortmunder hat Wien im Blick, europaweit eine ÖPNV-Modellstadt. Ins Wiener ÖPNV-Netz wurde massiv investiert, Parkgebühren in der Stadt erhöht und von örtlichen Unternehmen eine Nutznießer-Abgabe erhoben. Ergebnis: Der ÖPNV-Anteil am Wiener Gesamtverkehr liegt bei 38 Prozent – mehr als doppelt so hoch wie im Ruhrgebiet.