Ruhrgebiet. Die Klima-Aktivisten von „Extinction Rebellion“ finden in NRW immer mehr Unterstützer. Ihre Aktionen sind ungewöhnlich, ihre Forderungen radikal.

Auch mitten im Weltuntergang darf etwas Humor nicht fehlen: „Na, seid ihr die vom Aussterben Bedrohten?“, grüßt ein selbst ernannter Klima-Rebell die Runde von acht Gleichgesinnten. Hier, in einem Hinterhof in der Dortmunder Nordstadt, plant die Ruhrgebietsgruppe von „Extinction Rebellion“ (XR) den Aufstand gegen das in ihren Augen „toxische System“. Rund 70 Ortsgruppen der „Rebellion gegen das Aussterben“ gibt es bundesweit, darunter 14 in Nordrhein-Westfalen. Wer hier versammelt ist, findet die Forderungen von „Fridays for Future“ zu lasch – und ist bereit, für eine andere Klimapolitik sogar von der Polizei abgeführt zu werden.

In Trauer für aussterbende Arten: So hat „Extinction Rebellion“ zuletzt in Bochum auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam gemacht.
In Trauer für aussterbende Arten: So hat „Extinction Rebellion“ zuletzt in Bochum auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam gemacht. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Mit Kunstblut verschmiert trauern sie in der Bochumer Innenstadt um eine Million bedrohte Arten, mit Fahrrädern blockieren sie die Zufahrten vom Flughafen Berlin-Tegel und blankgezogen protestieren sie im Parlament von Großbritannien, dem Geburtsland der 2018 gegründeten Bewegung. „Es ist einfach nicht mehr angebracht, sich normal zu verhalten“, sagt die Wittener XR-Aktivistin Iris Simmler (40) über die immer häufigeren Aktionen der rund 150 Aktiven im Ruhrgebiet. „Die aktuellen Probleme sind so groß, dass ich mir eher komisch vorkommen würde, wenn ich keine Straßen blockieren würde.“

„Was wir tun, ist nicht schlimmer als ein Strafzettel“

Die Gruppe macht sich nicht nur Freunde mit ihrem ungewöhnlichen Widerstand. Wie die Landesregierung das „extremistische Potenzial“ von XR einschätzt, wollte etwa die AfD in einer Anfrage an die Landesregierung wissen. Die Antwort: Bis auf Kontakte zu der „linksextremistisch beeinflussten ‘Ende Gelände“-Bewegung“ gebe es bei XR „keine Erkenntnisse zu extremistisch beeinflussten Bestrebungen.“ Die „Ruhrgebiets-Rebellen“ selbst finden derartige Zuschreibungen ohnehin „zum Lachen“. „Was wir machen, ist manchmal illegal, aber in Anbetracht der Umstände legitim“, sagt ein 35-Jähriger aus Witten. „Wir wollen Wörter wie ‘zivilen Ungehorsam’ positiv besetzen.“ Mitstreiterin Iris Simmler ergänzt: „Was wir tun, ist nicht schlimmer als ein Strafzettel. Wer Steine fliegen lässt, der fliegt bei uns raus.“

Mit der Friedfertigkeit als oberstes Gebot will XR drei radikale Kernforderungen umsetzen: Politik und Medien sollen dazu gebracht werden, „die Wahrheit über die Klimakrise und ihre Folgen“ zu kommunizieren, die Emissionen sollen bis 2025 auf Netto-Null reduziert werden und eine Bürgerversammlung soll einberufen werden, um die Wege zur Klimaneutralität gemeinsam zu finden. „Die Politik ist nicht in der Lage, angemessen zu handeln“, findet der Wittener. „Deswegen soll die Bürgerversammlung entscheiden.“

Noch kein Kontakt zu den NRW-Grünen

Der aktuelle Erfolg der Grünen löst bei XR deshalb wenig Begeisterung aus. Große Erwartungen würde man auch nicht an eine Bundes- oder Landesregierung mit grüner Führung haben, ist sich die Dortmunder Runde einig. Die Grünen selbst seien bislang noch nicht in Kontakt mit XR getreten, heißt es von den Grünen. Auf die Nachfrage, wie die Partei zu den Aktivisten steht, antwortete die NRW-Vorsitzende Mona Neubaur lediglich mit Allgemeinpositionen.

„Wenn Steine fliegen, sind wir gescheitert“: Die Aktivisten werben für einen friedlichen Protest.
„Wenn Steine fliegen, sind wir gescheitert“: Die Aktivisten werben für einen friedlichen Protest. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

„Grüner Protest ist immer gewaltfrei. Wir orientieren all unsere Forderungen nach einem Kohle-Aus, einer Verkehrswende oder einer Wende in der Landwirtschaft am Pariser Klimaabkommen.“

Bei den vornehmlich jugendlichen Aktivisten von „Fridays for Future“ (FFF) hat man keine Berührungsängste mit XR. „Wir haben zwar keinen gemeinsamen Beschluss, aber machen in manchen Städten gemeinsame Aktionen“, sagt FFF-Mitorganisatorin Carla Reemtsma aus Münster. Beispielsweise blockierten FFF und XR Anfang August gemeinsam eine Straßenkreuzung in Essen. Auch gegen die Grenzüberschreitungen von „Extinction Rebellion“ habe man grundsätzlich nichts einzuwenden. „Jeden Freitag, wenn wir Schule schwänzen: Das ist ja auch ziviler Ungehorsam.“

Mit Vorträgen mobilisieren

Auch wenn „Fridays for Future“ fordert, dass Deutschland erst bis 2035 klimaneutral sein soll: Bei “Extinction Rebellion“ hat man nur lobende Worte für die Jungen übrig, „brillant“ nennt es Iris Simmler, was jeden Freitag passiert. Statt Schüler sind bei XR aber vor allem etwas Ältere aktiv. „Bei uns gibt es neben allen anderen Altersstufen viele junge Erwachsene zwischen 25 und 35 Jahren, die frisch Eltern geworden sind“, erzählt Bianca Rieskamp aus Datteln. Ansprechen wolle man aber alle Bevölkerungsgruppen, „vom Polizisten bis zum Bäcker“ – auch im Ruhestand. „Wir wollen gerade gezielt die Alt-68er erreichen“, erklärt Iris Simmler, „also die Omas und Opas, die mit Blick auf die Klimakrise gescheitert sind.“

Mobilisiert werden sollen alle Altersgruppen zum Beispiel mit Vorträgen, die zunehmend auch im Ruhrgebiet stattfinden und Fakten zum Klimawandel präsentieren sollen. Um Ratschläge für mehr ökologisches Bewusstsein soll es dabei aber nicht gehen. „Man kann die Verantwortung nicht mehr auf Einzelne abwälzen“, ist ein anderer überzeugt. „Wenn wir eine Straße blockieren, wollen wir damit nicht sagen: Ihr schlechten Menschen in euren großen Autos“, ergänzt Iris Simmler. Es gehe ausschließlich um die größtmögliche Aufmerksamkeit. „Und dafür nehmen wir auch Verhaftungen in Kauf.“