Essen. Der Regionalverband Ruhr will das Ruhrgebiet grüner machen. Das sei entscheidend für die Zukunft der Region, sagt RVR-Dezernentin Nina Frense.
Wälder, Wiesen, Wasserflächen: Der größte deutsche Ballungsraum will sich mit noch mehr Grün für die Folgen des Klimawandels rüsten. Der Regionalverband Ruhr sieht sich dabei als treibende Kraft. Was das heißt, erläutert RVR-Umweltdezernentin Nina Frense im Gespräch mit WAZ-Redakteur Michael Kohlstadt.
Der Regionalverband ist Deutschlands größter kommunaler Waldbesitzer. Wie geht es den RVR-Bäumen?
Nina Frense: Der RVR-Wald leidet unter Hitzestress. Die Bäume kämpfen gegen Pilzbefall und Borkenkäfer. Und noch immer sind in unseren Wäldern die Folgen des Sturms Ela sichtbar.
Welche Bedeutung hat der Wald in Zeiten des Klimawandels?
Wälder sind entscheidend. Laut Studien gilt die Aufforstung von Wäldern als beste Medizin gegen den Klimawandel. Der RVR plant, in diesem Jahr 500.000 neue Bäume zu pflanzen. Wir versuchen gerade, Mischbestände aufzubauen. Die weit verbreitete Fichte hat sich als nicht sehr klimaresistent erwiesen. Robinien und bestimmte Eichenarten kommen mit den Wetterkapriolen besser klar.
Klimawandel erfordert einen massiven Umbau des Ruhrgebiets
Liebe Leserinnen und Leser. In den letzten Tagen konnten Sie erleben, wie sehr die aktuelle Hitzewelle unseren Alltag belastet. Züge fielen aus, weil sich die Schienen verbogen. Die Notaufnahmen der Krankenhäuser hatten alle Hände voll zu tun. Die Landwirte bangen um ihre Ernten. Der Wald steht unter Stress. Und dieser Rekordsommer wird nicht der letzte gewesen sein.
Das alles zeigt: Es reicht nicht, wenn immer mehr Städte den Klimanotstand ausrufen. Das Ruhrgebiet muss sich aktiv auf die Folgen des Klimawandels einstellen. Das ist keine Frage mehr von ökologischen Überzeugungen, sondern Teil einer „Überlebensstrategie“ für einen Ballungsraum wie das Ruhrgebiet, wie RVR-Umweltdezernentin Nina Frense zu Recht betont.
Mit diesem Interview startet die WAZ die neue Serie „Grüne Zukunft Ruhr“, in der die zentralen Themen, vor die der Klimawandel das Ruhrgebiet stellt, beleuchtet werden: Wie müssen sich Verkehr und Mobilität verändern? Welche Rolle spielen die Gewässer und Wasserflächen? Wie können Städte Frischluftschneisen und grüne Inseln bewahren? Wie muss die Energieversorgung umgestellt werden? Welche Gesundheitsgefahren drohen? Welche Weichen muss die Politik jetzt stellen?
Wieder einmal steht das Ruhrgebiet vor einer großen Herausforderung. Und dieser Rekordsommer erinnert uns daran: Es bleibt nicht mehr viel Zeit.
Geht es um Natur und Grünflächen im Ruhrgebiet, kann der RVR also einiges in die Waagschale werfen.
Ja. Wir sind froh, dass wir so große Forstgebiete haben und dass sie alle in öffentlicher Hand sind. Die Waldfläche des RVR beträgt zusammengenommen 16.000 Hektar, das ist fast so viel wie die Stadtgebiete von Gelsenkirchen und Oberhausen zusammen. Wir freuen uns auch, dass es gelungen ist, von der RAG weitere 1000 Hektar hinzuzukaufen.
In jüngster Zeit ist viel von „grüner Infrastruktur“ die Rede, etwa in der Ruhrkonferenz. Der RVR macht daraus eine eigene Strategie. Was wollen Sie erreichen?
Wir wollen, dass erkannt wird, dass Wälder, Grüngebiete, unsere Halden, die Radwege und Wasserflächen nicht nur schmückendes Beiwerk sind, sondern in Zeiten des Klimawandels Teil einer Überlebensstrategie für einen so dicht besiedelten Ballungsraum wie das Ruhrgebiet. Die Frage ist doch: Wie können wir hier weiter gut leben und arbeiten, wenn es in unseren Städten immer heißer wird, tropische Nächte uns immer öfter den Schlaf rauben und Starkregen Straßen und Keller überfluten?
Welchen Beitrag kann der RVR leisten?
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Umwelt ist ein originäres Thema für den RVR. Wir sind ja Planungs- und Umweltbehörde. Außerdem gehört Grün gewissermaßen zum Gründungsmythos des Verbandes. Dem RVR-Vorgänger Siedlungsverband Ruhrkohlebezirk ging es in den 1920er-Jahren darum, im damals ungebremsten Wachstum der Fabriken und Zechen die noch vorhandenen Frei-und Grünflächen der Region zu bewahren und von Bebauung freizuhalten. Wäre das nicht geschehen, sähe das Ruhrgebiet heute wohl anders aus.
Sie meinen, dann gäbe es noch mehr Asphalt und Beton in der Region?
Wahrscheinlich. Denn dieses Grünzüge-System gibt es heute noch. Das ist ein Riesenpfund, auf das wir in der Klimakrise auch aktuell zurückgreifen können. An einigen Engstellen muss man jetzt darüber nachdenken, ob man aus strategischen Gründen nicht Liegenschaften hinzukauft, etwa um der Entstehung von Hitzeinseln entgegenzuwirken.
Geraten Sie dabei nicht in Konflikte mit der eigenen Wirtschaftsförderung im Haus? Dort sucht man händeringend neue Gewerbeflächen.
Unser Anliegen ist, den angeblichen Widerspruch zwischen wirtschaftlicher Prosperität und Klimaschutz aufzulösen und aufzuzeigen, dass sich diese beiden für unsere Zukunft im Ruhrgebiet wichtigsten Bereiche sogar gegenseitig bedingen anstatt auszuschließen. Ich sehe da also keinen Gegensatz. Mir geht es eben nicht darum, aus jeder Industriebrache ein Naturschutzgebiet zu machen. Und man kann auf ehemaligen Industrieflächen auch eine eher weiche Gewerbeansiedlung entwickeln, etwa durch eine touristische Erschießung: Freizeitparks, Gastronomie, Ferienunterkünfte. Auch das schafft Arbeitsplätze.
Dennoch fordert die Wirtschaft mehr Platz für Betriebe. Was sagen Sie dazu?
Kein Unternehmen will heute in einer Betonwüste arbeiten. Wir müssen auch bei der Erschließung neuer Gewerbeflächen vom Grün her denken. Das ist der neue Ansatz. Ein gutes Beispiel dafür sind die Planungen für das ehemalige Zechengelände Freiheit Emscher zwischen Essen und Bottrop. Umweltschutz ist übrigens auch eine soziale Frage. Der Klimawandel trifft zuerst die, die sich ein Haus im Grünen nicht leisten können, sondern an einer viel befahrenen Straße wohnen müssen.
Viele sagen, das Ruhrgebiet sei schon sehr grün.
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Wir müssen aber noch mehr Grün auch in die Städte und Quartiere bekommen. Bei neuen Wohngebieten etwa muss das von Anfang an mitgedacht werden. Früher lief Siedlungsbau doch so ab: Man baute und dann sollten noch irgendwo Bäume oder eine Parkbank hin. So kann man das heute nicht mehr machen. Ein gelungenes Beispiel, wie es anders geht, ist der Phoenixsee in Dortmund auf dem alten Stahlwerksgelände im Stadtteil Hörde. Da wurde gleich alles zusammen gedacht: Wohnen, Wasser und Grün.
Apropos: Braucht das nach einem Fluss benannte Ruhrgebiet eigentlich nicht mehr Anbindung ans Wasser?
Wer von außen zu uns ins Ruhrgebiet kommt, wundert sich oft, dass die meisten Städte so weit weg sind von der Ruhr. Meine Empfehlung: Öffnet die Städte zur Ruhr! Erlaubt das Baden im Fluss! Dazu könnte die IGA mit ihren kommunalen Projekten einen Beitrag leisten. Die Flusslandschaft im Ruhrgebiet ist natürlich ein schützenswertes Gut. Doch wir können die Natur nicht immer nur schützen, sondern müssen sie auch erlebbar machen.
Um die IGA hat der RVR lange gerungen. Nun kommt die Internationale Gartenausstellung 2027 ins Revier. Was versprechen Sie sich davon?
Wir können das Ruhrgebiet so darstellen, wie es ist und nicht wie es von außen oft immer noch gesehen wird: als graue Maus unter den Metropolregionen. Entscheidend dabei ist, dass wir die DNA des Reviers als gewachsene Industrielandschaft in die Zukunft transferieren. Wir dürfen nicht den Fehler machen, einfach nur unsere Naturparadiese zu zeigen, die es im Ruhrgebiet ja nicht zu knapp gibt. Das wäre nicht authentisch. Die IGA wird das Ruhrgebiet von seinen Stärken aus denken.
Was meinen Sie damit?
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Wir sind immer Energieland gewesen. Wir werden mit der IGA neue Energielösungen zeigen, beispielsweise bei der Versorgung von Quartieren mit der Wärme aus Grubenwasser, Photovoltaik oder auch Windenergie. Wenn wir jedoch als Energieregion weiter vorankommen wollen, müssen sich auch landesgesetzliche Rahmenbedingungen etwa bei der Windkraft ändern. Nach dem Ende des Steinkohlebergbaus befinden wir uns gerade in einer Aufbruchstimmung. Die gilt es zu nutzen, um neue Technologien beim Bauen und bei Verkehrslösungen anzustoßen. Das Auto als totales Primat im Ruhrgebiet: das müssen wir hinterfragen. Und mit intelligenten, schnellen Fahrradrouten von Stadt zu Stadt, aber auch mit innerstädtisch sicheren Fahrradwegen antworten. Nur wenige Menschen steigen wegen des Klimaschutzes aufs Fahrrad um, aber viele tun es, wenn es einfach schneller geht als mit dem Auto. Ein junges, modernes, neugieriges Ruhrgebiet, das wollen wir mit der IGA zeigen.
Zur Person:
Nina Frense gehört seit zwei Jahren zum Führungsteam des Regionalverbandes Ruhr. Als Beigeordnete verantwortet die 48-Jährige den Bereich Umwelt. Die gebürtige Hamburgerin kam vor zehn Jahren ins Ruhrgebiet.
Zunächst arbeitete sie als Referatsleiterin im Sozialdezernat der Stadt Mülheim. 2014 wurde die Juristin und zweifache Mutter in Gladbeck Dezernentin für Recht, Ordnung, Kultur, Entsorgung und Grünflächenunterhaltung.