Dortmund/Bochum. NRW-Arbeitsminister Laumann ging auf „Digitaltour“. Viele Firmen hinken der modernen Arbeitswelt hinterher. Entkommen können sie ihr nicht.

NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) warnt vor einer Digitalisierung des Arbeitslebens, die an den Bedürfnissen der Beschäftigten vorbei geht. „Man kann ein Unternehmen nicht in eine neue Zeit führen, ohne dabei die Menschen mitzunehmen“, sagte Laumann bei seiner „Digitaltour“ in Dortmund und Bochum. Während viele kleine Betriebe noch mit der Digitalisierung fremdeln, gibt es in der Region große Player wie den Pumpenhersteller Wilo, der in Dortmund auf 20 Hektar eine digitale „Zukunftsfabrik“ baut.

Das Hochofengerippe auf Phoenix-West in Dortmund-Hörde ist eine Landmarke, die von einer verflossenen Industriegeschichte erzählt. Direkt gegenüber wird bald eine Wilo-Fabrik gebaut, die mit dem Hochofen etwa so viel gemein hat wie eine Buschtrommel mit einem Smartphone. Die Geschäftsführung und der Betriebsrat beteuern, dass die Mitarbeiter bei dieser Zukunftsreise nicht abgehängt werden. „Wir haben einen Pakt geschlossen, dass der Mensch im Mittelpunkt bleibt. Er wird hier nicht in der Digitalisierung untergehen“, sagte Betriebsrätin Daniela Mohr. Die modernste Fabrik weit und breit könnte auch in Asien oder Südosteuropa gebaut werden, aber Dortmund biete auf lange Sicht beste Perspektiven. „Dortmund ist ein feiner Ort. Wir profitieren von der einzigartigen Hochschullandschaft im Ruhrgebiet“, sagt Kay Hoffmann aus der Wilo-Verwaltung.

Die Angst vor Überforderung und Überwachung

Ganz anders – und viel vorsichtiger – nähern sich traditionelle Handwerksbetriebe der Digitalisierung. Der Dortmunder Elektro-Installationsbetrieb Kocher führt zum Beispiel eine Arbeitszeit-Erfassung per Smartphone ein. Seniorchef Werner Kocher erzählt, dass besonders ältere Kollegen Berührungsängste mit einer solchen Veränderung hätten. „Da kommt in unserem Alter schnell das Stoppschild“, sagt der 55-Jährige. Manche Kollegen sorgten sich darum, nun ständig überwachbar zu sein. Über die Köpfe der Kollegen hinweg könne Digitalisierung nicht gelingen.

Kurt Berkowitz, Chef eines Bochumer Heizungs- und Sanitärunternehmens, berichtet von einem Mitarbeiter, der seit 30 Jahren im Betrieb ist. „Ein loyaler Mann mit großer Erfahrung. Aber Digitalisierung ist für den kein Thema“, sagt Berkowitz. Die Firma stattet ihre Kundendienstler mit Tablets aus. Das erleichtert die Dokumentation der Arbeit, löst aber bei manch Altgedientem Berührungsängste aus. Manchmal spielt auch die Angst vor Autoritätsverlust eine Rolle, meint Minister Laumann. „Erfahrenen Mitarbeitern fällt es oft schwer, zuzugeben, dass sie etwas nicht können.“

Es ist egal, wo und wann die Belegschaft arbeitet – wenn sie Leistung bringt

Wie brachial die digitale Zukunft schon bald über die NRW-Wirtschaft hereinbrechen dürfte, erzählte Stefan Peukert, Chef des Bochumer Startups „masterplan.com“, das mit seiner Weiterbildungsplattform Belegschaften fit macht für die Digitalisierung. Der Hang der Deutschen zum Perfektionismus sei da eher hinderlich. Experimentieren und Scheitern gehörten zur digitalen Welt. Mit traditioneller Arbeit habe diese Zukunft nicht mehr viel zu tun. „Unsere Mitarbeiter bringen Leistung, aber es ist unwichtig, wo und zu welcher Uhrzeit sie das tun“, so Peukert.

Arbeitsminister Laumann stimmt die Entwicklung nachdenklich: „Wir können wir Arbeitnehmerrechte, Sozialpartnerschaft, die Soziale Marktwirtschaft retten?“ Ganz ohne Regeln könne es auch in der digitalisierten Welt nicht gehen.

In der Lern- und Forschungsfabrik der Ruhr-Uni Bochum sind inzwischen rund 300 Betriebsräte auf die Digitalisierung vorbereitet worden. Unternehmen und Gewerkschaften nutzen diese „Lernfabrik“ des Lehrstuhls für Produktionssysteme, um Ängste vor den Arbeitsabläufen der Zukunft zu nehmen, Sabina Kuhlmann, Betriebsrätin beim Remscheider Unternehmen Oerlikon, wies Minister Laumann auf Defizite bei der Berufsausbildung in Berufskollegs hin. „Dort wird noch ausgebildet wie vor 30 Jahren, es ist eine Katastrophe.“

Fachkräftemangel immer bedrohlicher

Aus Sicht von Karl-Josef Laumann sind die Berufsschulen regional sehr unterschiedlich auf die Herausforderungen der Digitalisierung vorbereitet. Die Landesregierung verdoppelt die Landesmittel für die überbetrieblichen Bildungsstätten von vier auf acht Millionen Euro und kündigt einen „Modernisierungspakt Berufliche Bildung“ an. Große Hoffnungen setzt Laumann in die Wirkung der „Bildungsschecks“, von denen bisher in NRW schon rund eine halbe Million Beschäftigte profitiert haben. Sie werden von 225 Beratungsstellen in NRW angeboten.

Entlassung und Vorruhestand, in den 1990-er Jahren noch beliebte Instrumente zum Ausdünnen von Belegschaften, seien angesichts des fortschreitenden Fachkräftemangels künftig kaum praktikabel. „In den kommenden Jahren gehen in NRW eine halbe Million dual ausgebildete Facharbeiter in den Ruhestand“, so Laumann. Im Grunde würden heute alle gebraucht, auch in den Zeiten der Digitalisierung. Auch und gerade die Älteren dürften da nicht abgehängt werden.