Dortmund. . Dortmund und Kassel sind Hotspots der Rechtsextremen. Experten sind nicht überrascht, dass Spuren im Mordfall Lübcke nach Dortmund führen.

Dass der Festgenommene im Mordfall Walter Lübcke womöglich enge Verbindungen zu Dortmunder Neonazis gehabt hat, überrascht Beobachter nicht. Die relativ kleine, dafür aber extrem gewaltbereite rechte Szene in Dortmund ist eng vernetzt mit Rechtsradikalen im In- und Ausland, gerade auch mit Gleichgesinnten aus Hessen, woher der 45-jährige Tatverdächtige stammt. Und die Drohkulisse, die vor dem Mord an Lübcke gegen den Kasseler Regierungspräsidenten aufgebaut worden war, erinnert an andere Fälle in NRW und in Hessen. Lokalpolitiker sind hier wiederholt Opfer von Schmähungen und Angriffen aus der rechten Szene geworden.

Auch interessant

Gut in Erinnerung sind vielen noch die Attacken auf die heutige Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) im Jahr 2015 und auf den Altenaer Bürgermeister Andreas Hollstein (CDU) im Jahr 2017. In Bocholt im Münsterland gab 2016 der SPD-Vorsitzende Thomas Purwin seine politischen Ämter auf – nach wiederholten Hassmails. Purwin sah „eine Grenze überschritten“. In den Mails sei es nicht nur um ihn gegangen, „sondern auch gegen meine Lebensgefährtin und insbesondere gegen meine Tochter“, sagte er. Was Purwin widerfuhr, durchlitt auch der SPD-Landrat Erich Pipa aus dem hessischen Main-Kinzig-Kreis. Er wurde wegen seiner flüchtlingsfreundlichen Haltung beschimpft und bedroht. Pipa zog sich 2017 aus der Politik zurück.

Einschüchtern, bedrohen, beleidigen - das hat Methode

Aggressionen gegen Politiker haben zuletzt zugenommen. Allein 2017 zählte das Bundesinnenministerium mehr als 1500 Delikte gegen „Amts- und Mandatsträger“. Einschüchtern, bedrohen, beleidigen – in Dortmund, einem „Hotspot“ der Rechtsradikalen, greifen Neonazis schon lange auf solche Methoden zurück.

2012 kündigten sie Aufmärsche vor den Privatwohnungen von Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD), dem damaligen NRW-Integrationsminister Guntram Schneider (SPD) und der damaligen Grünen-Landtagsabgeordneten Daniela Schneckenburger an. 2015 veröffentlichten Neonazis, offenbar aus der Dortmunder Szene, falsche Todesanzeigen mit den Namen von Journalisten und Nazi-Gegnern aus NRW.

Auch interessant

Zum harten Kern der extrem gewaltbereiten Rechten in Dortmund zählen wohl etwa 100 Personen. Die Stadt schätzt sogar, dass es aktuell nur etwa 60 bis 70 sind. Aber diese Wenigen sind in der Lage, für größere Aufmärsche, die es immer wieder in der Ruhrgebietsstadt gibt, und für Straftaten Gleichgesinnte aus ganz Deutschland zu mobilisieren. So war der des Mordes an dem CDU-Politiker Walter Lübcke Verdächtige Stephan E. aus Hessen an dem Überfall von mehreren Hundert Rechtsextremen auf eine Mai-Demo des DGB im Jahr 2009 beteiligt.

Nazi-Kontakte in 18 EU-Länder

Wie eng die Dortmunder Neonazis mit anderen Gewaltbereiten in ganz Europa vernetzt sind, beschreibt NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) in Antworten auf Fragen der Dortmunder SPD-Landtagsabgeordneten Nadja Lüders, die dieser Redaktion vorliegen. Laut Reul hat der Dortmunder Kreisverband der Partei „Die Rechte“ nicht nur enge Kontakte zu Rechtsextremisten in Thüringen, Rheinland-Pfalz und Sachsen, sondern auch zu Neonazis in 18 EU-Ländern sowie in Norwegen, in der Schweiz, der Ukraine und Russland. „Mitglieder der rechtsextremistischen Szene in Dortmund waren seit dem Jahr 2013 an der Organisation der Kampfsport-Veranstaltungen ,Kampf der Nibelungen’ beteiligt“, schreibt Reul der Dortmunder SPD-Chefin Lüders. Die Veranstaltungsorte lagen unter anderem in NRW und in Nordhessen.

Stephan E., der Verdächtige im Fall Lübcke, soll der Neonazi-Vereinigung „Combat 18“ („Kampfgruppe Adolf Hitler“) nahe stehen, in der es zahlreiche Querverbindungen zwischen Dortmund und Kassel gibt. Der Dortmunder Politikwissenschaftler und Rechtsextremismus-Forscher Dierk Borstel nennt gleich drei Verbindungslinien zwischen Neonazis in Dortmund und Kassel: Erstens die so genannten Autonomen Nationalisten, die sich um 2002 zunächst in Dortmund und kurz darauf in Kassel gründeten. Zweitens die verbotene „Blood and honor“- Bewegung, ein rechtsextremes Netzwerk mit dem Schwerpunkt Musik. „Diese ,Blood and honor’-Strukturen finden wir sowohl im Raum Dortmund als auch in Nordhessen“, erklärt der Professor. Bei „Combat 18“ handele es sich um den militanten Arm dieser Bewegung.

„Dortmund und Kassel sind klassische Orte rechtsextremen Handelns“

Schließlich geschahen ausgerechnet in Dortmund und Kassel im Jahr 2006 innerhalb von drei Tagen zwei Morde der NSU-Terroristen. Opfer sind der Dortmunder Kioskbesitzer Mehmet Kubasik und der junge Halit Yozgat, der in einem Kasseler Internet-Café erschossen wird. Dass im Fall Lübcke Spuren nach Kassel und Dortmund führen, hat Dierck Borstel jedenfalls nicht überrascht: „Das sind klassische Orte rechtsextremen Handelns“, sagte er dieser Redaktion.