Düsseldorf . Härtere Strafen, mehr Polizei-Befugnisse, Jugendamt-Standards: Die ersten Vorschläge für eine Expertenanhörung Ende Juni im Landtag liegen vor.

Am 27. Juni beginnt vor dem Landgericht Detmold der Prozess um den massenhaften Kindesmissbrauch von Lüdge. Drei Tage zuvor kommen in einer großen Expertenanhörung des Landtags die Praktiker der Jugendhilfe zu Wort. Die ersten zentralen Vorschläge, wie Kinder in NRW besser von Misshandlung und sexueller Gewalt geschützt werden könnten, liegen bereits vor.

Fachkräftemangel : Die Jugendämter in NRW sind hoffnungslos überfordert. Die Fallzahlen, in denen Einschätzungen zu möglichen Kindeswohlgefährdungen abgegeben werden mussten, sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Zwischen 2011 und 2017 haben die sogenannten Paragraf 8a-Verfahren von 28.075 auf 39.478 zugenommen – um mehr als 40 Prozent. Zugleich schlägt seit 2010 die Demografie in der Jugendhilfe voll zu: Erfahrene Fachkräfte gehen in den Ruhestand, jüngere rücken kaum nach. Der bestehende Fachkräftemangel führe „bei vielen Jugendämtern zu Schwierigkeiten, überhaupt geeignete Fachkräfte zu finden“, bilanzieren Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe.

Härtere Strafen: Die Strafandrohung für den Besitz von Kinderpornografie liegt bei maximal drei Jahren Haft. Beim Ladendiebstahl sind es bis zu fünf Jahren. Einfacher sexueller Missbrauch von Kindern wird rechtlich nur als Vergehen mit einer Mindeststrafandrohung von sechs Monaten behandelt, der Wohnungseinbruchdiebstahl indes als Verbrechen. Für die „Deutsche Kinderhilfe e.V.“ ist es nicht länger hinnehmbar, „dass dem Rechtsgut Eigentum in unserem Strafgesetzbuch derzeit ein höherer Stellenwert eingeräumt wird als der körperlichen Unversehrtheit von Kindern“.

Verjährung: Die „katholische Landesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz“ fordert die Landesregierung auf, sich für das Streichen von Verjährungsfristen bei sexuellem Missbrauch stark zu machen. Wie man aus Fällen in der katholischen Kirche wisse, seien Opfer „häufig erst Jahrzehnte später in der Lage, über ihre schlimmen Erfahrungen zu sprechen, wenn diese Taten dann teilweise bereits verjährt sind“.

Die Landesregierung soll sich für härtere Strafen und bessere Meldepflichten bei Kinderpornografie stark machen

Provider-Pflichten: Rechtliche Regelungen müssen nach Auffassung vieler Kinderschützer deutlich nachgebessert werden. Die meisten Meldungen zu kinderpornografischem Material im Internet erreichen die deutschen Behörden immer noch vor allem über Behörden in den USA. Dort sind Internet-Provider verpflichtet, Verdachtsfälle auf Kinderpornografie den US-Ermittlern zu melden. NRW soll sich auf Bundesebene dafür stark machen, dass Meldepflichten auch hierzulande verbessert werden. Zudem müsse es leichter werden, über die Vorratsdatenspeicherung an IP-Adressen von Kinderporno-Konsumenten zu gelangen.

Melderegisterabgleich: Die „Deutsche Kinderhilfe“ fordert, dass die Polizei bei Hinweisen auf psychische Störungen oder Alkohol- und Drogenmissbrauch künftig stets per Melderegisterabgleich klären muss, ob Kinder in dem entsprechenden Haushalt leben. In solchen Fällen solle routinemäßig Jugendhilfe und Familiengericht eingeschaltet werden.

Kinder-Beauftragter: Ein unabhängiger Beauftragter für alle Belange von Kindern in NRW soll Themen in die Landespolitik tragen und einmal im Jahr dem Landtag Bericht erstatten.

Kinderschutz-Hotline: Um das Entdeckungsrisiko von Tätern zu erhöhen, schlägt die „Deutsche Kinderhilfe“ eine zentrale „Kinderschutz-Hotline“ vor, bei der man sich auch anonym melden kann. In Mecklenburg-Vorpommern seien auf diese Weise deutlich mehr Hinweise auf Kindeswohlgefährdungen eingegangen. Die Zahl der Inobhutnahmen habe sich so in den vergangenen elf Jahren verdoppelt.

Jugendamt-Standards: In NRW können Kommunen mit mehr als 25.000 Einwohnern ein eigenes Jugendamt betreiben. So gibt es landesweit 186 Jugendämter, die fachlich und personell völlig unterschiedlich aufgestellt sind. Die Allgemeinen Sozialen Dienste haben mal nur ein gutes Dutzend Fälle zu bearbeiten und mal über 100. Die „Ombudschaft der Jugendhilfe“ fordert einheitliche Standards, die „Deutsche Kinderhilfe“ eine Fachaufsicht über die Jugendämter.

Fallübergaben: Die Landschaftsverbände rufen nach besseren Regelungen bei Fallübergaben zwischen zwei Jugendämtern oder bei doppelten Zuständigkeiten. In Missbrauchsfall Lügde waren für das Pflegekind des auf dem NRW-Campingplatz gemeldeten Hauptverdächtigen die niedersächsischen Behörden zuständig. „Eine gesetzliche Vorgabe erscheint angesichts der Probleme in der Praxis notwendig“, raten die Landschaftsverbände.