Essen. . Die Debatte um die Reform der Grundsteuer spitzt sich weiter zu. Jetzt schlagen die Städte Alarm. Ihnen läuft die Zeit weg.

Städte und Gemeinden im Ruhrgebiet und NRW sind angesichts der stockenden Bund-Länder-Gespräche über die Reform der Grundsteuer und der Krise der Berliner GroKo in großer Sorge um eine ihrer wichtigsten Einnahmequellen. „Wenn Bund und Länder sich nicht rechtzeitig einigen oder die GroKo platzt, droht uns ab Januar der Grundsteuernotstand“, schlägt Recklinghausens Stadtkämmerer Ekkehard Grunwald (CDU) Alarm. Dortmunds Stadtdirektor und Kämmerer Jörg Stüdemann (SPD) nennt die Situation „sehr ernst“. „Es brennt die Hütte“, sagte Stüdemann der Redaktion.

Brandbrief an den Bund

Hintergrund ist der vom Bundesverfassungsgericht verfügte Wegfall der Grundsteuer, falls bis Ende 2019 kein neues Gesetz zustande gekommen ist. Grunwald, der auch Bundesvize der Kommunalpolitischen Vereinigung (KPV) der CDU/CSU ist, spricht von einem „Worst-Case-Szenario“. Die KPV appelliert in einem Brandbrief an Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat, die Reform der Grundsteuer „unverzüglich“ anzugehen. Gelinge dies nicht, müssten die Grundsteuereinnahmen „hilfsweise durch Landesgesetze“ ersetzt werden, heißt es in dem Schreiben.

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Die Debatte um die Reform der Grundsteuer spitzt sich damit weiter zu. Nachdem der Bund der Steuerzahler in der vergangenen Woche mit Beispielrechnungen für Aufsehen gesorgt hatte, nach denen auf Hausbesitzer und Mieter teils horrende Abgabensteigerungen zukommen könnten, schlagen jetzt die Städte Alarm. Ihre Sorge sind nicht einzelne Summen-Modelle, sondern das große Ganze. Heißt: Kommen Bund und Länder bei der Reform der Kommunalabgabe nicht bald auf einen Nenner, droht schon ab Januar ein Totalausfall der Grundsteuer. Eine der wichtigsten Einnahmequellen der Städte würde komplett versiegen.

Ekkehard Grunwald, Kämmerer der Stadt Recklinghausen, Foto: J. Gutzeit
Ekkehard Grunwald, Kämmerer der Stadt Recklinghausen, Foto: J. Gutzeit © J. Gutzeit

Jüngst hatte der Deutsche Städtetag schon Druck aufgebaut und Bund und Länder zu einer schnellen Einigung aufgefordert. Nun geht die Kommunalpolitische Vereinigung von CDU und CSU noch einen Schritt weiter. Das parteiinterne Gremium, das Unionspolitikern praktisch aller deutschen Kommunen eine Stimme gibt, hat einen regelrechten Brandbrief an die politisch Verantwortlichen in Berlin adressiert – ungeachtet ihrer Parteizugehörigkeit.

Bundestag soll die Notbremse ziehen

„Die Bundesregierung, die Fraktionen des Deutschen Bundestages und der Bundesrat werden aufgefordert, unverzüglich die Gesetzesinitiative zu ergreifen, so dass Bundestag und Bundesrat rechtzeitig zum 31. Dezember 2019 ein Reformgesetz zur Grundsteuer verabschieden“, heißt es in dem Schreiben, das dieser Redaktion vorliegt.

Gleichzeitig fordert die KPV den Bundestag auf, schon einmal die gesetzgeberische Notbremse zu ziehen. Das Parlament müsse die bestehende Regelungskompetenz dringend an die Länder abgeben, „falls ein Bundesgesetz zur Reform der Grundsteuer nicht zustande kommt.“

Flächenmodell versus Wertemodell

Die Angst der Kommunen vor dem Fall der Fälle kommt nicht von Ungefähr. Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Grundsteuer-Reform kommt seit Monaten nicht voran. Vor allem Bayern will, dass den Bundesländern erlaubt wird, von einer Bundesregelung abzuweichen. Der Freistaat und andere unionsgeführte Länder bestehen zudem darauf, dass sich die Steuerhöhe pauschal an der Fläche orientiert und verlangen eine Öffnungsklausel für einzelne Bundesländer. Die Pläne von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sehen indes vor, dass bei der Berechnung der Grundsteuer künftig vor allem der Bodenwert und die durchschnittlichen Mieten eine Rolle spielen.

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Eine Kompromisslinie zwischen beiden Modellen ist derzeit nicht erkennbar. Hinzu kommen neue Unsicherheiten über die Zukunft der Berliner GroKo. Platzt die Regierung und kommt es zu vorgezogenen Neuwahlen, könnte das den gesamten Reformprozess ausbremsen, so die Befürchtung der Städte. Das Reformgesetz muss aber bis Ende 2019 stehen. Das Bundesverfassungsgericht hat den Städten die Anwendung des jetzigen Grundsteuergesetzes über den 31. Dezember hinaus untersagt.

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ARCHIV - Die Luftaufnahme zeigt Einfamilienhäuser und Reihenhäuser am 01.08.2014 in Köln (Nordrhein-Westfalen). Foto: Oliver Berg/dpa (zu dpa
Von Tim Braune und Michael Kohlstadt

Für die Kommunen heißt das: Ohne eine Bund-Länder-Einigung dürfen sie ab Januar keine Grundsteuer mehr erheben. Bundesweit steht damit die gigantische Summe von 14,5 Milliarden Euro als Ausfall zur Disposition.

„Uns rennt die Zeit davon“

Die unter notorischer Geldnot leidenden Ruhrgebietsstädte würde es besonders hart treffen. Allein in Essen brächen auf einen Schlag Einnahmen von rund 134 Millionen Euro weg. In Bochum fehlten 85 Millionen im Etat, in Dortmund gut 120 Millionen. „Sollte es so weit kommen, krachen reihenweise die Haushalte zusammen. Das wäre nicht zu kompensieren“, sagt Dortmunds Stadtdirektor und Kämmerer Jörg Stüdemann (SPD). Die Situation sei sehr ernst. „Uns rennt die Zeit davon“, so Stüdemann.

Recklinghausens Kämmerer und KPV-Bundesvize Ekkehard Grunwald sieht gar den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdet: „Das Leben findet in den Städten statt. Ihnen die Finanzierungsgrundlage wegzunehmen, wäre unverantwortlich.“