Düsseldorf. . Der Ruf nach harten Konsequenzen aus den Wahlniederlagen und die Kritik an Andrea Nahles werden an Rhein und Ruhr lauter.

Ausgerechnet in diversen „Herzkammern“ der Sozialdemokratie haben die Grünen der SPD bei der Europawahl den Rang abgelaufen: In Dortmund, in Bochum, in Mülheim, in Witten. Der Schmerz darüber ist groß, und am Montag wurde eine Frage immer lauter: Zieht die Parteispitze in Berlin jetzt harte Konsequenzen aus den Wahl-Desastern in Europa und Bremen?

Wer in NRW auf eine Entschuldigung oder gar einen Rückzug der Parteichefin und Bundestags-Fraktionschefin Andrea Nahles hoffte, der wurde enttäuscht. Ihr recht emotionsloser Auftritt im Willy Brandt-Haus kam in vielen SPD-Unterbezirken in NRW gar nicht gut an.

Wunsch: SPD-Parteitag vorziehen

Der Chef des SPD-Kreisverbandes Rhein-Kreis Neuss, Daniel Rinkert, berichtet von „Fassungslosigkeit“ an der Basis. Nahles’ Pressekonferenz in Berlin sei „genauso desaströs wie die Wahlergebnisse“ gewesen. Die Parteichefin biete der Partei in diesen schweren Stunden keinerlei Orientierung. Weil im kommenden Jahr in NRW Kommunalwahlen anstehen, herrsche in Teilen der Partei „jetzt schon Panik“, sagte Rinkert.

Rinkert fordert daher einen vorgezogenen SPD-Bundesparteitag und die Überprüfung der Großen Koalition noch vor der Sommerpause. „Zur Frage rein oder raus aus der Groko sollte die SPD auch eine zweite Mitgliederbefragung organisieren“, sagte Rinkert. Die Basis dürfe in dieser Situation nicht außen vor gelassen werden. In der SPD-Landtagsfraktion wurde am Montag gemunkelt, mehrere Partei-Unterbezirke wollten aufbegehren.

Bundestagsfraktion soll über Nahles abstimmen

Michael Groß, Bundestagsabgeordneter aus Marl und Sprecher der SPD-Bundestagsabgeordneten aus dem Ruhrgebiet, forderte eine offene Diskussion über die „desaströsen Ergebnisse der SPD“. Er beantragte beim Chef der NRW-Landesgruppe im Bundestag, Achim Post, eine Sondersitzung der SPD-Bundestagsfraktion zur Nachbereitung der Europawahl.

Es müsse nun klargestellt werden, ob die Bundestagsfraktion hinter ihrer Vorsitzenden Nahles stehe oder nicht, schrieb Groß. Entweder sie werde breit gestützt oder nicht. Den Spekulationen über Nahles müsse jedenfalls ein Ende gesetzt werden. Groß kritisierte in dem Brief auch die Fraktionsspitze: „Ein einfaches ,Weiter so’, lediglich durch die in kompletter Abhängigkeit stehenden stellvertretenden Vorsitzenden und den Generalsekretär sind keine Option. Alle in der Fraktion müssen das legitimieren und nicht nur ein paar Wenige im geschäftsführenden Vorstand“, so Groß.

Wenn die SPD so weitermache wie bisher, sei sie bald eine „gute Zehn-Prozent-Partei!“ Die SPD werde als „Partei der Arbeit“ nicht mehr wahrgenommen. Nur 13 Prozent der Arbeiter und 14 Prozent der Angestellten hätten ihr ihre Stimme gegeben. Für Michael Groß sind diese Wahlergebnisse ein „letzter Warnschuss“.

„Von Tiefpunkt zu Tiefpunkt“

Die Chefin der Jungsozialisten in NRW, Jessica Rosenthal, fand Nahles’ Auftritt vor der Presse enttäuschend: „Das war nicht das, was die wahlkämpfenden Jusos erwartet hatten. Die Analyse- und Auswertungsbekenntnisse wiederholen sich, aber die Partei hangelt sich von Tiefpunkt zu Tiefpunkt.“ Der Juso-Landesvorstand schlägt vor, den Verbleib der SPD in der großen Koalition an harte Bedingungen zu knüpfen: an ein Klimaschutzgesetz als Signal an die Jüngeren, an die Grundrente und an ein neues Berufsbildungsgesetz.

Einer der einflussreichen SPD-Oberbürgermeister aus dem Ruhrgebiet warnte vor überhasteten Konsequenzen aus den Wahlniederlagen. Duisburgs OB Sören Link meinte: „Ich halte nichts davon, sofort wieder eine Personaldebatte zu führen. Die SPD hat in den vergangenen Jahren mehr Parteivorsitzende gehabt als der HSV Trainer – und was hat es gebracht?“

Baranowski kritisiert die SPD-Minister

„Wenn die Groko in Berlin Probleme lösen würde, dann wäre sie kein Problem“, sagte Frank Baranowski, Landes-Vorsitzender der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik (SGK). Leider kümmerten sich auch die SPD-Minister nicht um die Probleme, die die Menschen im Revier so sehr bewegten: Zuwanderung, Klimaschutz und die Schuldenlast der Städte. „Ich erwarte, dass die, die für die SPD im Bundeskabinett sitzen, endlich den Ernst der Lage begreifen“, so Baranowski.

„Jetzt muss alles schnell auf den Tisch“, forderte NRW-SPD-Chef Sebastian Hartmann am Montag. Die SPD zeige in dieser Groko noch immer kein unverwechselbares Profil. „Wir haben unsere Hausaufgaben nicht gemacht“, sagte Hartmann. Andrea Nahles müsse nun klar sagen, wohin es gehe mit der SPD.