Düsseldorf . Der Missbrauchsskandal auf dem Campingplatz in Ostwestfalen wird vom Landtag aufgearbeitet. Innenminister Reul dürfte im Zentrum stehen.

Als Hannelore Kraft am 1. Juli 2016 als Zeugin Nummer 70 im Untersuchungsausschuss zur Kölner Silvesternacht auftreten musste, war das ein Fest für die damalige Opposition. Vor dem Landtag hatten Übertragungswagen Position bezogen. Um den Zeugenstuhl wucherte ein Wald aus Mikrofonbäumen. Der heutige Justizminister Peter Biesenbach (CDU) dirigierte als Ausschussvorsitzender eine stundenlange Befragung der SPD-Ministerpräsidentin. Die heutige Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) gab die schneidige Chefanklägerin. Knapp ein Jahr später wiederholte sich das Schauspiel im Untersuchungsausschuss zum Berliner Weihnachtsmarkt-Attentat, in dem Kraft ebenfalls aussagen musste.

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An diese Szenen mögen sich die Hintersassen von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Dienstag erinnert haben, als die SPD die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum massenhaften Kindesmissbrauchs auf einem Campingplatz im ostwestfälischen Lügde bekannt gab. Oppositionsführer Thomas Kutschaty will mit dem Einsetzungsbeschluss nur noch formal warten, bis die Anklagen gegen die Hauptverdächtigen offiziell vom Gericht zugelassen sind. Zum einen hatte Kutschaty immer gebremst, vor der politischen Aufklärung müssten die staatsanwaltlichen Ermittlungen abgewartet werden. Zum anderen wollen die Sozialdemokraten nicht gemeinsam mit der AfD für einen Untersuchungsausschuss stimmen, die bereits in dieser Wochen einen entsprechenden Antrag stellt.

Die SPD zielt auch auf Laschet

Auf die SPD kommt es an, denn der Landtag braucht für die Einsetzung die Stimmen von 20 Prozent der Abgeordneten. Für die Landesregierung kommt das Aufklärungsgremium nicht überraschend. Wenn der Landtag jahrelangen sexuellen Missbrauch von mindestens 41 Kindern in über 1000 Einzeltaten, verbreitet in Millionen von Bildern, nicht politisch aufarbeiten wollte – was denn eigentlich dann? Zumal schon jetzt außer Frage steht, dass frühen Hinweisen auf die Campingplatz-Verbrechen nicht entschlossen genug nachgegangen wurde und später allerhand Polizei-Pannen öffentlich wurden.

Die Kraft-Geschichte lehrt, dass Untersuchungsausschüsse für Ministerpräsidenten immer unangenehm sind. Laschet wird als Zeuge zum Fall Lügde zwar wenig beitragen können, aber das öffentliche Tribunal wird sich die Opposition nicht entgehen lassen. Kutschaty machte am Dienstag schon einmal die Stoßrichtung klar. Er rieb sich etwa an Laschets Loblied auf den in diesem Fall nicht unumstrittenen Innenminister Herbert Reul (CDU). Dieser sei der beste Amtsträger in NRW seit 50 Jahren, behauptete Laschet. „Ein Ministerpräsident, der es bis heute nicht geschafft hat, ein Wort an die Opfer dieses grausamen Verbrechens zu richten. Diese Prioritätensetzung wird der Ausschuss bestimmt auch aufklären“, sagte Kutschaty.

Hat Reul die richtigen Nerven für einen U-Ausschuss?

Im Zentrum dürfte gleichwohl Reul selbst stehen. Die NRW-Grünen, die seit Wochen einen U-Ausschuss fordern, wollen vor allem zwei Fragen nachspüren. Erstens: Warum ließ Reul wochenlang die überforderte Landratsbehörden Detmold den monströsen Fall bearbeiten, obwohl das Innenministerium bereits am 11. Januar von mindestens 30 minderjährigen Opfern, 12.500 kinderpornografischen Bildern und möglicher Aktenmanipulation im Jugendamt Hameln (Niedersachsen) wusste. Zweitens: Welche Strukturen müssen bei Polizei und Jugendämtern verbessert werden, um Anzeigen bei Kindeswohlgefährdung nicht mehr versanden zu lassen.

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Dass der Polizei schwere Fehler unterlaufen sind, erscheint unstrittig. Die zunächst mit dem Fall Lügde befasste Kreispolizei Lippe musste das Verschwinden von 155 sichergestellten Datenträgern einräumen, stellte eine völlig unstrukturierte, 3000 Seiten starke Verfahrensakte zusammen und traf zweifelhafte Personalentscheidungen. Reul gab sich als Aufräumer im eigenen Apparat und versprach, „jeden Stein umzudrehen und diesen notfalls auch zu röntgen“. Als später neue Ermittlungsfehler im Raum standen, distanzierte er sich von den kernigen Worten. Den Satz habe man ihm in seine Rede reingeschrieben. „Schuld sind bei diesem Innenminister immer die anderen, sogar für seine eigenen Worte“, ätzte Kutschaty am Dienstag. Die SPD glaubt offenbar, dass Reul nicht das richtige Nervenkostüm für einen Untersuchungsausschuss mitbringt. Zuletzt fluchte der Minister aufgebracht: „Von mir aus können sie fünf Untersuchungsausschüsse machen, ich gucke da ganz fröhlich in die Welt.“

Das schärfste Schwert des Parlaments

Ein Untersuchungsausschuss (PUA) gilt als schärfstes Schwert eines Parlamentes, um einen vermuteten Skandal oder ein Affäre aufzuklären. Der NRW-Landtag beschließt einen PUA mit den Stimmen von mindestens 40 der 199 Landtagsabgeordneten. Ein PUA darf Zeugen vorladen und ausführlich befragen, auch den Ministerpräsidenten und Kabinettsmitglieder. Der PUA Lügde wäre der vierte PUA in der laufenden Wahlperiode. Die anderen U-Ausschüsse beschäftigen sich mit dem islamistischen Attentäter Anis Amri, mit dem vermeintlichen Hackerangriff auf die frühere Umweltministerin Christina Schulze Föcking und mit dem Tod des zu Unrecht in Kleve inhaftierten Syrers Amad A. Die Kosten der drei laufenden Ausschüsse betragen rund 3,7 Millionen Euro im Jahr.