Düsseldorf. . Wie ein „Schweizer Käse“ sehen manche Gegenden am Niederrhein aus. Der Protest gegen die Kiesgruben wird lauter. Wesel droht NRW sogar mit Klage.

Der Protest gegen die Ausweitung des Kies- und Sandabbaus am Niederrhein erreichte am Freitag den Landtag: Der Weseler Landrat Ansgar Müller (SPD) drohte in Düsseldorf mit einer Klage vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster, sollte die Landesregierung an ihren Plänen festhalten, den Zeitraum für den Abbau dieser Stoffe von 20 auf 25 Jahre auszudehnen. Im Entwurf für den Landesentwicklungsplan (LEP) steht, dass es diese Ausdehnung geben soll. Wenn aber der so genannte Versorgungszeitraum für den Kiesabbau tatsächlich um fünf Jahre verlängert würde, dann würde eine Fläche so groß wie 420 Fußballfelder „unwiederbringlich zerstört“, warnte der Landrat. Schon heute reihe sich in der Region Baggerloch an Baggerloch.

Die Kiesgruben-Gegner stützen sich bei ihrem Protest jetzt auf ein Rechtsgutachten von Professor Martin Kment von der Universität Augsburg. Der Wissenschaftler meint, dass die Landesregierung bei der Arbeit am LEP die gesetzlichen Anforderungen missachtet und gar nicht ermittelt habe, welchen Kies-Bedarf sie durch die Verlängerung auf 25 Jahre sichern wolle. Die Regierung schreibe einfach die bisherigen Abgrabungsmengen fort ohne dabei an den Natur- und Flächenschutz zu denken, erklärte der Jurist. Dieses Versäumnis ermögliche Klagen gegen neue Kiesgruben am Niederrhein.

Noch länger Kiesabbau als bisher geplant?

Die Kultur- und Naturlandschaft Niederrhein hat einige von Menschenhand gebaggerte Schönheitsfehler. Bürgerinitiativen und viele örtliche Politiker ärgern sich seit Jahren über den größer werdenden „Kiesloch-Flickenteppich“ in den Kreisen Wesel, Kleve, Viersen und Borken. Wie ein Schweizer Käse sehe manche Gegend inzwischen aus, heißt es. Der Weseler Landrat Ansgar Müller (SPD) sprach am Freitag im Landtag von einer „dramatischen Situation“, die sich weiter zuspitzen könnte. Die Region wehrt sich gegen die im Entwurf für den Landesentwicklungsplan (LEP) angedachte Ausdehnung des Kies- und Sandabbaus von 20 auf 25 Jahre und will notfalls dagegen klagen.

Die Kiesgruben-Gegner kamen am Freitag in der Landespressekonferenz im Landtag zu Wort: (v. li.) Simone Spiegels (Niederrheinappell), Prof. Martin Kment von der Uni Augsburg und Landrat Ansgar Müller (SPD).
Die Kiesgruben-Gegner kamen am Freitag in der Landespressekonferenz im Landtag zu Wort: (v. li.) Simone Spiegels (Niederrheinappell), Prof. Martin Kment von der Uni Augsburg und Landrat Ansgar Müller (SPD). © Lars Heidrich

Die Gruben-Gegner stützen sich nun auf ein Gutachten des namhaften Rechtswissenschaftlers Martin Kment von der Universität Augsburg. Der Professor hat sich im Auftrag des Kreises Wesel sowie der Städte Kamp-Lintfort, Alpen, Rheinberg und Neukirchen-Vluyn den LEP-Entwurf vorgenommen und will erhebliche Mängel dort entdeckt haben. Laut Kment hat es die Landesregierung versäumt zu ermitteln, welchen Bedarf an Kies und Sand sie mit der Ausdehnung auf 25 Jahre eigentlich sichern wolle.

„Naturschutz gehört auch zur Bedarfsermittlung“

Es fehle eine gründliche Abwägungsentscheidung des Landes, wie viel Kies es der Industrie zur Verfügung stellen möchte, meint der Professor. Ein Blick zurück auf den Verbrauch der vergangenen Jahre reiche nicht, „NRW muss bei dieser Abwägung auch die Frage beantworten, wie viel Natur- und Flächenschutz will ich.“ Landrat Müller sagte, die fehlerhafte Bedarfskalkulation sei nicht hinnehmbar. Sollte die CDU/FDP-Regierung nicht umsteuern, dann sei eine Klage vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster gegen den LEP vorstellbar.

„Wir machen einen schlechten Tausch“, findet Simone Spiegels vom Bündnis Niederrheinappell 2019, einem Bündnis von 14 Bürgerinitiativen. Eine wunderbare Landschaft, in der Tiere einen guten Lebensraum und Menschen Ruhe und Erholung finden, solle eingetauscht werden gegen Kieslöcher, zerstörte Natur und Gefahren für die Gewässer. Am Ende würden die Bürger zur Kasse gebeten, wenn das Grundwasser weiter beeinträchtig und Hochwasserlagen infolge des Kiesabbaus begünstigt würden. Kies sei ein wichtiger Filter für das Grundwasser.

Niederlande verbieten den Abbau im großen Stil

Landrat Ansgar Müller weist darauf hin, dass die Niederländer auf ihrer Rheinseite erheblich „restriktiver“ mit dem Kies- und Sandabbau umgingen. Viele der Unternehmen, die auf der deutschen Seite schürfen, stammen aus den Niederlanden.

Nach Ansicht von Christoph Landscheidt (SPD), Bürgermeister von Kamp-Lintfort, sind zu viele Fragen noch unbeantwortet: „Um welchen Kies-Bedarf geht es hier? Um regionale, landesweite, bundesweite Bedarfe einschließlich des Exports, insbesondere in die grenznahen Niederlande? Werden bei der Bemessung des Bedarfs auch die erheblichen Mengen berücksichtigt, die durch das Recycling von Abbruchmaterial gewonnen werden könnten?“ Grundlage für den Landesentwicklungsplan scheinen nur die „unbefriedigenden und intransparenten“ Angaben der Kiesunternehmen zu sein, vermutet Landscheidt.

Industrie erinnert an den Bauboom

Die Industrie führt an, dass die Nachfrage für Kies angesichts des Baubooms derzeit riesig sei. „Der Bedarf an Wohnungen und Infrastruktur ist sehr groß“, sagte der Chef des Rohstoffverbandes vero, Christian Strunk. Es sei daher bisher sogar zu wenig Kies-Bedarf ermittelt worden. Die Kiesindustrie arbeite auch nicht gegen die Natur, sondern hinterlasse „gut renaturierte Flächen“. Der weltweite Bauboom hat die Nachfrage nach Sand und Kies einer neuen Studie der Vereinten Nationen zufolge in 20 Jahren verdreifacht.

Die Grünen im Landtag stellten sich am Freitag hinter die Kiesgruben-Gegner vom Niederrhein. „Mit ihrem Entwurf für einen Landesentwicklungsplan erteilt die Landesregierung der Kiesindustrie einen Freifahrtschein zum Raubbau an Natur und Heimat“, sagte Horst Becker, wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion. (mit dpa)

>>> Niederrhein ist ein Zentrum der Kiesproduktion

2017 wurden in NRW nach Angaben des Statistischen Landesamts 63 Millionen Tonnen Kies, Sand, Ton und Kaolin im Wert von knapp 500 Millionen Euro produziert. Ein Viertel davon wurde allein in den Kreisen Kleve und Wesel hergestellt. Insgesamt stammen nach Angaben der Kiesindustrie mehr als zehn Prozent der deutschen Kies- und Sandproduktion vom Niederrhein.