Essen. . Auf dem Politischen Forum Ruhr in Essen haben prominente Politiker für die europäische Integration geschwärmt - und vor deren Erlahmen gewarnt.
Den Klappentext zur Einladung verfasste der Gastgeber aus gutem Grund selbst: „100 Jahre nach Versailles, 80 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs und 30 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs besteht diesmal die Gefahr, dass Links- wie Rechtspopulisten die europäische Idee aus dem Parlament heraus von innen bedrohen und Erreichtes rückgängig machen“, schrieb Stefan Holthoff-Pförtner auf die Einlasskarte zum Politischen Forum Ruhr.
Knapp vier Wochen vor der Europawahl am 26. Mai setzte Holthoff-Pförtner, der auch Europaminister im schwarz-gelben NRW-Landeskabinett ist, den von politischen Beobachtern mit Spannung erwarteten Urnengang auf die Tagesordnung der von ihm gegründeten Essener Kongress-Reihe.
Auf dem Podium: Glühende Europäer
„Welches Europa bekommen wir, welches Europa wollen wir?“, lautete die mit spürbar unbehaglichem Unterton formulierte Fragestellung des Symposiums, zu dem mit der Grünen-Bundesvorsitzenden Annalena Baerbock, Bundesjustizministerin Katarina Barley, dem früheren EU-Parlaments-Vizepräsidenten Alexander Graf Lambsdorff (FDP) und dem langjährigen Europaparlamentarier Elmar Brok (CDU) weithin bekannte Polit-Prominenz in der Essener Philharmonie anrückten. Komplettiert wurde die Runde durch den Frankfurter Privatbankier und Macron-Vertrauten Philippe Oddo.
Der Blick auf die Gästeliste zeigte schnell: Auf dem Podium hatten ausschließlich glühende Europäer Platz genommen. Echte EU-Überzeugungstäter, die wie etwa der Europaparlament-Methusalem Elmar Brok – der CDU-Politiker ist seit 1980 EU-Abgeordneter – vom „Wunder des Binnenmarktes“ schwärmten. Eine kontroverse Debatte ließ das kaum erwarten, obwohl die Politikprofis ihre Wahlkampfmontur ganz offensichtlich nicht an der Garderobe abgelegt hatten. Doch auch in der gut gefüllten Philharmonie waren Europa-Skeptiker eher in der Minderheit. Für sein Bekenntnis, Europa sei der besten Ort, an dem man leben könne, erntete der französische Bankier Philippe Oddo Szenenapplaus.
Mut zu mehr Integration
Doch die Sorge, dass „dieses Europa verwundbar ist“ (Alexander Graf Lambsdorff), lag allenthalben in der Luft. Andreas Tyrock legte als Moderator des Abends denn auch den Finger in die Wunde. „Wenn alles so toll ist, warum muss sich die EU ständig rechtfertigen?“, wollte der WAZ-Chefredakteur von der Diskussionsrunde wissen.
Annalena Baerbock macht dafür die aktuelle EU-Politik verantwortlich. „Die Menschen haben das Gefühl, die Politik läuft den Entwicklungen hinterher.“ Baerbock forderte mehr Mut zur europäischen Integration – im Steuerwesen, in der Außenpolitik, aber auch in Sachen Rechtsstaatlichkeit. „Mein Europa ist eine föderale europäische Republik“, sagte die Grünen-Chefin.
Elmar Brok (CDU), der in diesem Jahr nicht mehr zur Wiederwahl antritt, räumte Defizite der Brüsseler Politik ein. „Natürlich entscheiden wir in Brüssel auch mal Unsinn, aber das passiert auch in Düsseldorf und Berlin“, sagte Brok. Er forderte freilich, alte Strukturen über Bord zu werfen: „Wir brauchen mehr Zusammenarbeit, etwa in der Verteidigungspolitik. Nur gemeinsam haben wir in dieser Welt eine Chance.“
Katarina Barley sprach mit Blick auf den 26. Mai von einer Richtungswahl. „Dieses Europa macht sich nicht von alleine“, warnte die SPD-Politikerin, die EU-Spitzenkandidatin ihrer Partei ist. Es gebe immer mehr politische Akteure, die ein ganz anderes Europa wollten.
Deutsch-französischer Motor stottert
Mit ihrer Forderung nach einem EU-weiten Mindestlohn, der der Wirtschaftskraft des jeweiligen EU-Landes angemessen ist, stieß die Sozialdemokratin dann aber auf vereinigten schwarz-gelben Widerstand. Elmar Brok warnte davor, „die deutsche Tariffreiheit auf europäischen Boden zu opfern“. Graf Lambsdorff hielt Barley entgegen, nationale Sozialstaatlichkeit auf europäischer Ebene aufzubauen, sei unbezahlbar.
Thematisiert wurde auch der für die Entwicklung der Europas so wichtige deutsch-französische EU-Motor, der zuletzt bedenklich ins Stottern geraten war. Alexander Graf Lambsdorff blickt mit Sorge auf diese Entwicklung. Er kritisierte, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer den französischen Präsidenten Emmanuel Macron mit seinen Ideen für mehr Europa ins Leere laufen ließen.