Düsseldorf. SPD-Landtagsfraktionschef Kutschaty ist ein Jahr im Amt. Er pflegt einen anderen Stil als seine Vorgänger und kritisiert die Groko in Berlin.

Die Schockstarre der SPD endete am 24. April 2018 mit einer kleinen Revolution. An jenem Tag funkt die SPD-Landtagsfraktion erstmals nach der Landtagswahl-Schlappe 2017 ein Lebenszeichen. Statt dem Willen des 71-jährigen Langzeit-Fraktionschefs Norbert Römer zu folgen, der im Hintergrund viele Fäden gezogen hatte, um Marc Herter aus Hamm zu seinem Nachfolger zu machen, wählten die Abgeordneten Thomas Kutschaty aus Essen zu ihrem Vorsitzenden. Knapp zwar, mit 35:31 Stimmen, aber das reichte für eine Zäsur: neuer Chef, neue Richtung, neuer Stil.

Als sich der Ex-Justizminister nach seiner Wahl zum Fraktionschef durch ein Spalier aus Mikros und Kameras wand und vor die Presse trat, blieb er, wie er eben so ist: sachlich und kontrolliert. Überschwang ist Kutschatys Sache nicht, aber leichter Groll ist noch hörbar, als er von einem „Sieg der innerparteilichen Demokratie“ spricht und davon, dass nun „keine Politik im Hinterzimmer“ mehr gemacht werde. Die ehemals mächtigen Herren in der NRW-SPD – Norbert Römer und Michael Groschek – wollten ihn nicht als Fraktionschef. Bekommen haben sie ihn trotzdem.

Die Groko in Berlin ist ihm ein Graus

Wer ist Thomas Kutschaty? Oft wird der 50-Jährige als „Rebell“ bezeichnet. Das Etikett ist allerdings noch frisch. Während der sieben Amtsjahre als NRW-Justizminister blieb er politisch unfallfrei, trat aber nicht als Revoluzzer auf. Erst seit der vergeigten Landtagswahl legt sich der Jurist ein ums andere Mal mit dem Partei-Establishment an.

Die Groko in Berlin ist ihm ein Graus. „Solange wir Juniorpartner in einer großen Koalition sind, werden wir nicht als Alternative wahrgenommen“, warnt er. Mit dieser Haltung ist er Stachel im Fleisch der Groko-stützenden Parteispitze um Andrea Nahles und Olaf Scholz. Außerdem rief Kutschaty schon nach dem Ende von Hartz IV, als sich Nahles das noch gar nicht traute. Der „Rebell“ gilt für mache in der Bundespartei daher eher als „Querulant“.

Keine Angst vor dem Tabubruch

„Der soll sich um seine Angelegenheiten in NRW kümmern“, sagten manche SPD-Bundestagsabgeordnete, die die Groko-Kritik Kutschatys nervt und die ihre Mandate gern bis zum Bundestagswahljahr 2021 behalten möchten. Man kann nicht behaupten, dass die Kritik Kutschaty beeindruckt. „Hartz IV sollte seinen 20. Geburtstag nicht mehr feiern dürfen“, rief er bei der Hans-Böckler-Stiftung in Berlin. Kurz darauf traf er sich mit dem Fraktionschef der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch. Beim Tabubruch legt er also eine beachtliche Schlagzahl vor.

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) muss sich an den neuen Ton gewöhnen, der ihm seit einem Jahr aus der SPD-Fraktion entgegen schlägt. Fraktionschef Kutschaty neigt Laschet gegenüber nicht, wie sein Vorgänger Römer, zur dramatischen Anklagerhetorik („An Ihnen haftet der Staub der neoliberalen 1990-er Jahre“). Er beherrscht auch nicht den rustikalen Ton eines Arbeiterführers wie der frühere SPD-Landesvorsitzende Michael Groschek („Lasst uns Hammer sein, nicht Amboss“).

Er liebt den kühlen, ironisch vorgetragenen Angriff

Kutschaty liebt den kühlen, ironisch vorgetragenen Angriff. „Sie genießen den Glanz ihres Amtes. Aber Sie meiden die Last der Verantwortung“, rief er im Dezember im Plenum dem Ministerpräsidenten zu. Und dessen Regierung hielt er süffisant vor, zu einem „Reparaturbetrieb in eigener Sache“ verkommen zu sein, nachdem mehrere Minister in Bedrängnis geraten und die Umweltministerin Christina Schulze Föcking (CDU) gar zurückgetreten war. Kutschaty hat zudem ein fleißiges Büro- und Presseteam um sich vereint, das ihm hilft, solche Nadelstiche zu setzen.

Wird Kutschaty also derjenige sein, der in drei Jahren als SPD-Spitzenkandidat Armin Laschet herausfordert? Dafür spricht seine Rolle als Oppositionsführer. Der Landtag ist eine Bühne, auf der er den Regierungschef immer wieder direkt angreifen kann. Kutschaty hätte wohl Lust auf ein Wahl-Duell mit Laschet, sagen Beobachter. In Umfragen liegt die NRW-SPD allerdings derzeit sieben Prozent hinter der Union und hat die erstarkenden Grünen im Nacken. Und ob die Partei Kutschaty antreten lassen würde, ist noch längst nicht ausgemacht.

SPD-Landeschef Sebastian Hartmann ist Kutschatys Rivale

Denn SPD-Landeschef Sebastian Hartmann (40), ein Bundestagsabgeordneter aus dem Rhein-Sieg-Kreis, scheint ehrgeizig genug, um sich als möglicher Kandidat ins Gespräch zu bringen. Auch SPD-Oberbürgermeister wie Sören Link (Duisburg), Thomas Eiskirch (Bochum) oder Frank Baranowski (Gelsenkirchen) wären eine Option. Vielleicht auch Sarah Philipp aus Duisburg, Geschäftsführerin der SPD-Fraktion. Die besten Karten hat allerdings – Stand heute – Thomas Kutschaty.

>>> Zur Person:

Thomas Kutschaty (50) – verheiratet, drei Kinder – ist in Essen geboren und blieb seiner Heimatstadt treu. An der Ruhr-Universität Bochum studierte er Rechtswissenschaften, arbeitete anschließend als selbstständiger Anwalt und war zwischen 2010 und 2017 Justizminister in NRW. Der SPD gehört Kutschaty seit 1986 an. Er war Ortsvereinsvorsitzender in Borbeck, Bezirks- und Ratsvertreter sowie seit 2005 Landtagsabgeordneter. Seit 2016 ist Kutschaty Chef der Essener SPD.