Düsseldorf . Ex-Verfassungsgerichtspräsident Bertrams sollte als Kronzeuge für die Abschaffung der Stichwahlen in NRW herhalten. Jetzt belehrt er Schwarz-Gelb.
Die schwarz-gelbe Regierungskoalition in Nordrhein-Westfalen muss bei der geplanten Abschaffung der Bürgermeister-Stichwahlen einen schweren Rückschlag hinnehmen. Der frühere Präsident des NRW-Verfassungsgerichtshofs, Michael Bertrams, hat am Donnerstag klargestellt, dass sich CDU und FDP nicht auf sein Verfassungsurteil von 2009 berufen könnten. „Zu Unrecht“ werde die zehn Jahre alte Entscheidung herangezogen, so Bertrams in einem Gastbeitrag für den „Kölner Stadtanzeiger“.
Das höchste Gericht hatte zwar 2009 schon einmal die Abschaffung der Stichwahl für verfassungsgemäß erklärt. Damals war jedoch die Beteiligung an vielen Stichwahlen 1999 und 2004 vielerorts nachweisbar niedriger als im ersten Wahlgang. Der Gesetzgeber habe die Pflicht zu prüfen, schreibt Bertrams, ob ein Wahlsystem ohne Stichwahl „den erforderlichen Gehalt an demokratischer Legitimation auch zukünftig vermittelt“. Das Problem: CDU und FDP können wohl nicht belegen, dass Stichwahlen heute weniger Bürger an die Urnen locken. Vielmehr war bei den Bürgermeisterwahlen 2014 und 2015 bei 76 Stichwahlen in 59 Gemeinden ein Anstieg der absoluten Stimmenzahl für den siegreichen Kandidaten festzustellen.
Richter rät: „Nicht mit dem Kopf durch die Wand“
„Die CDU/FDP-Koalition sollte bei dieser Sachlage davon absehen, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen“, rät Verfassungsrichter Bertrams. Die SPD-Opposition im Landtag hat bereits Verfassungsklage gegen die Abschaffung der Stichwahlen angekündigt. Sie wittert bei der Regierung Laschet taktische Gründe, um mehr CDU-Bürgermeister mit nur einem Wahlgang ins Amt zu bringen. Vor den Kommunalwahlen 2020 droht eine juristische Hängepartie.
Bei aller Unterschiedlichkeit der Kommunalwahlsysteme in Deutschland kommt es bislang überall zur Stichwahl, wenn ein Bürgermeister-Kandidat im ersten Wahlgang nicht mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen (absolute Mehrheit) erhält. In NRW ist die Stichwahl seit 20 Jahren ein politischer Zankapfel: 1999 eingeführt, 2007 wieder abgeschafft, 2011 wieder eingeführt.