Essen. Die geplante Lockerung der Stickoxid-Vorschriften macht Dieselfahrern Hoffnung, um Fahrverbote herumzukommen. Dudenhöffer: Der Grenzwert bleibt.
Die EU-Kommission hat keine grundsätzlichen Bedenken mehr gegen deutsche Pläne, Diesel-Fahrverbote in der Regel für unverhältnismäßig zu erklären. Kommt das Ruhrgebiet nun doch um Fahrverbote herum? Oder ist Entwarnung die falsche Strategie? Und was sagen die betroffenen Städte zu den Brüsseler Signalen? Ein Überblick.
Was bedeutet die Nachricht aus Brüssel für die Fahrverbote in Essen und Gelsenkirchen?
Das entscheidet sich Anfang Mai. Am Oberverwaltungsgericht Münster müssen die Richter über mehrere Berufungsverfahren entscheiden, mit denen das Land NRW Urteile von Verwaltungsgerichten über Fahrverbote in Aachen und auch Essen und Gelsenkirchen anfechtet. Ende 2018 hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen für 18 Essener Stadtbezirke, darunter auch Teile der A 40, sowie die sogenannte Schalker Meile in Gelsenkirchen Fahrverbote angewiesen, weil dort der EU-weite Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft nicht eingehalten wird.
Bevor sich die Münsteraner Oberverwaltungsrichter mit den einzelnen Berufungsverfahren befassen, wollen sie Anfang Mai im Grundsatz klären: Beziehen sie sich auf die bisherige Rechtslage oder auf das bis dahin aktualisierte Bundes-Immissionsschutzgesetz, nachdem Fahrverbote bei Messwerten von bis zu 50 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft als unverhältnismäßig gelten sollen.„Das ist eine Frage der Rechtsprechung, die man vorab nicht beantworten kann“, sagte eine Sprecherin am Donnerstag. Auch müsse geklärt werden, wie die Anstrengungen der Kommunen einberechnet werden, um Fahrverbote zu verhindern. Wie die Richter entscheiden, soll erst mit dem ersten Berufungsurteil bekannt gemacht werden. Das steht im Juli für die Fahrverbote in der Stadt Aachen an.
Werden die Städte nun bei der Luftreinhaltung nachlassen?
Die beklagten Städte wollen in ihren Bemühungen für bessere Luft nicht nachlassen. „Der Gesundheitsschutz geht über alles“, sagte Thomas Kufen (CDU) dieser Redaktion. „Aber es geht eben nicht alles auf einmal“, fügte er an. Ein Fahrverbot wäre nicht verhältnismäßig, sagte der OB. „Das würde uns ins Verkehrschaos stürzen.“ Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD) sagte: „Es muss weiter unser Ziel sein, die Schadstoffbelastung so weit wie möglich zu senken. Es geht hier um die Gesundheit der Menschen.“ Der Weg über Fahrverbote die Werte zu verringern und dabei gleichzeitig in der Masse mehr Schadstoffe durch Umwegfahrten zu produzieren, sei aber falsch. In Bochum rechnet man ohnehin nicht damit, dass es zu Fahrverboten kommt, obwohl an der einzigen Messstelle an der vielbefahrenen Herner Straße 2017 ein Jahresmittelwert von über 50 Mikrogramm erreicht wurde. „Wir haben alles getan, um die Luftqualität dort zu verbessern“, betonte Stadtsprecher Thomas Sprenger – unter anderem durch ein Lkw-Durchfahrtverbot, Tempo 30 sowie „Klimahecken“.
Haben jetzt Tausende Dieselbesitzer ihre Fahrzeuge zu früh verkauft?
Soweit möchte Ferdinand Dudenhöffer, Professor für Automobilwirtschaft an der Uni Duisburg-Essen, nicht gehen. „Viele Dieselfahrer mögen sich jetzt ärgern“, sagte er dieser Redaktion. „Aber später werden sie sich vielleicht freuen, ihr Fahrzeug früh verkauft zu haben. Denn die Sache ist noch nicht ausgestanden.“ Dudenhöffer betont, dass sich an der Gültigkeit des EU-Grenzwertes von 40 Mikrogramm nichts geändert habe. „Die EU verschiebt keine Grenzwerte. Sie hat nur auf ein Veto gegen die Gesetzespläne der Bundesregierung verzichtet. Das ist keine Entwarnung.“ Dudenhöffer ist überzeugt davon, dass es weitere Klagen geben wird. „Fahrverbote sind nicht vom Tisch. Darüber entscheiden Gerichte, nicht die Politik.“
Warum gibt es weiter Streit um die Grenzwerte?
Kürzlich hatten 100 Lungenfachärzte die Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide infrage gestellt und damit eine heftige Debatte ausgelöst. Nun stellt sich heraus, dass der Wortführer der Mediziner, Lungenfacharzt Dieter Köhler, offenbar mit falsch berechneten Zahlen argumentiert hat. Bei seinen Beispielrechnungen habe er sich mitunter um den Faktor 1000 verrechnet. Köhler bestätigte das gegenüber der „Tageszeitung“. Falsch war unter anderem die Berechnung, mit der er die Stickstoffdioxidbelastung aus dem Straßenverkehr mit der durch das Rauchen verglich.
Viele Wissenschaftler halten es ohnehin für problematisch, eine dauerhafte Belastung mit einer kurzfristigen Spitzenbelastung durch das Rauchen zu vergleichen. Der pensionierte Lungenarzt rückt im Grundsatz aber nicht von seiner Position ab. In einer Stellungnahme teilte er unserer Redaktion mit: „Insgesamt ändern diese kleinen Korrekturen natürlich nichts an der Gesamtaussage.“
Was sagt die Deutsche Umwelthilfe (DUH)?
DUH-Anwalt Remo Klinger hält die nun ausgelöste Debatte für einen „Sturm im Wasserglas“. Auch wenn das geplante Bundesgesetz nun komme, ändere sich nichts. „Die Grenzwerte bleiben“, sagte Klinger dieser Redaktion. „Wenn die Städte es schaffen, die Grenzwerte ohne Fahrverbote einzuhalten, dann jubeln wir mit“, so Klinger. Der Fall Wiesbaden zeige, dass es Städte durchaus schafften, Fahrverbote zu vermeiden. Mit einem Maßnahmenpaket für bessere Luft hatte die hessische Stadt Dieselfahrverbote verhindert. Der Streit mit der DUH um zu hohe Schadstoffwerte war am Mittwoch beigelegt worden.