Düsseldorf. . „Ich trete dir das Gesicht weg“ – Solche Sätze müssen sich Gerichtsvollzieher in NRW anhören. Die Zahl der Übergriffe ist viel höher als gedacht.

Drohungen, Schläge, Mobbing, sexuelle Belästigung, Hasskampagnen in sozialen Medien – Beschäftigte im öffentlichen Dienst sind offenbar einem erheblichen Risiko ausgesetzt, Opfer von Übergriffen zu werden. SPD-Landtags-Fraktionsvize Sven Wolf präsentierte am Mittwoch Besorgnis erregende Zahlen der Deutschen Justiz-Gewerkschaft (DJG). Demnach soll es jedes Jahr in NRW rund 10.000 Übergriffe gegen Behörden-Mitarbeiter geben mit etwa 19.000 Opfern.

Das bedeutet, dass fast jeder zweite der rund 40.000 Beschäftigten – zum Beispiel Gerichtsvollzieher, Beamte im Justizvollzug, Richter – im Laufe eines Jahres Opfer von Gewalt ist. Einfache Beleidigungen fließen in die Statistik gar nicht ein.

Hohe Dunkelziffer bei den Gewalttaten

 Sven Wolf (SPD) hatte zum „Sicherheitsgipfel Justiz“ in den landtag eingeladen.
Sven Wolf (SPD) hatte zum „Sicherheitsgipfel Justiz“ in den landtag eingeladen. © Federico Gambarini/dpa

„Die Dunkelziffer muss deutlich höher sein“, sagte Wolf, der am Mittwoch Vertreter von Gewerkschaften und Justiz-Verbänden zum „Sicherheitsgipfel“ in den Landtag einlud. Auch die Landesbeauftragte für den Opferschutz, Elisabeth Auchter-Mainz, nahm teil. Der SPD zufolge kritisierte Auchter-Mainz, dass viele Verfahren gegen die Täter schnell eingestellt würden. Jede Einstellung sei für die Opfer „wie eine zweite Tat“.

Das Thema Gewalt gegen Justizmitarbeiter rückte zuletzt in den Vordergrund, weil in Bochum eine Gerichtsvollzieherin von einer Schuldnerin angegriffen worden war. Die Täterin war den Justizbehörden als Gewalttäterin bekannt. Dennoch wurde die Gerichtsvollzierin allein zu der Frau geschickt. NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) geriet in Erklärungsnöte, weil er im Landtag zunächst gesagt hatte, es habe keine Anzeichen für eine mögliche Gefährdung gegeben. Astrid Petersen vom Landesverband der Gerichtsvollzieher gewährte am Rande des „Sicherheitsgipfels“ schockierende Einblicke in ihre Arbeit.

Keine Betreuung nach Leichenfund

„Wenn sie hier reingehen, trete ich ihnen das Gesicht weg“, habe zum Beispiel ein Mann gesagt, dessen Stromzähler beschlagnahmt werden sollte. „Dann trat er nach mir und hätte mich fast getroffen“, sagte Petersen. Eine ihrer Kolleginnen fand in einer Wohnung die Leiche einer getöteten Frau. Der Täter ging mit den Worten „Meine Freundin schläft noch“ an ihr vorbei. „Die Kollegin hätte sofort betreut werden müssen, aber dafür fehlte der Ansprechpartner.

„Jeden Tag gibt es in NRW einen Angriff auf Gerichtsvollzieher“, sagte Frank Neuhaus, Chef des Gerichtsvollzieher-Bundes NRW. Infos über gewalttätige Bürger müssten in einer zentralen Statistik zusammengeführt werden, damit sich jeder Justiz-Beschäftigte informieren könne. „Oft fragen uns Polizisten: Warum machen sie das alleine? Wir fahren dort mit drei Streifenwagen hin“, so Neuhaus. Das Wissen der Polizei über Gewalttäter müsse den Gerichtsvollziehern zur Verfügung stehen.

Sven Wolf berichtete von einer Bewährungshelferin, die sich um einen notorischen Schwarzfahrer kümmern sollte. Erst nach mehreren Treffen habe sie herausgefunden, dass es sich um einen mehrfach vorbestraften Sexualstraftäter handelte.

Ansprechpartner für Justiz-Opfer gesucht

Die SPD-Landtagsfraktion will nun CDU, Grüne und FDP zur Entwicklung eines „Masterplans Sicherheit“ einladen. Die Verbände der Justizbeschäftigten fordern diese Initiative nachdrücklich. Angedacht ist: Ein zentraler Ansprechpartner, an den sich Opfer rund um die Uhr wenden können; ein Büro, das für die Opfer Anzeigen formuliert; in Gefängnissen Investitionen in die technische Sicherheit und in Räume, die eine größere Distanz zwischen Justizmitarbeiter und Gefangenen erlauben; Fortbildung für Mitarbeiter und Vorgesetzte zum Thema Gewalt.