Düsseldorf. . Theoretisch können in NRW Opfer die Spuren einer Vergewaltigung anonym sichern lassen. In der Praxis funktioniert das aber nicht gut.
Seit 2001 können in NRW Frauen und Mädchen, die Opfer sexueller Gewalt sind, die Tatspuren einer Vergewaltigung auch ohne direkte Anzeige sichern lassen, um den Täter später zur Verantwortung zu ziehen. Aber diese sogenannte anonyme Spurensicherung (ASS) funktioniert nicht gut. Denn die Betroffenen können sie nicht überall im Land nutzen, und der Umgang mit den Spuren – ihr Erfassung, ihr Transport und ihre Lagerung – gleicht einem Chaos. Schlimmer noch: Viele Ärzte haben gar keine Ahnung, was sie in einem solchen Fall tun sollen.
Die anonyme Spurensicherung brennt Frauenberatungsstellen, Juristen und Wissenschaftlern seit Jahren auf den Nägeln. Nun hat es das Thema ASS in den Gleichstellungsausschuss des Landtags geschafft. CDU und FDP wollen mit einem Antrag Ordnung ins Chaos bringen und außerdem erreichen, dass ASS auch für männliche Gewaltopfer möglich wird.
Anonyme Spurensicherung auch für Männer
Diesen letzten Punkt nahmen alle eingeladenen Experten gerne auf: Anonyme Spurensicherung müsste in ganz Deutschland für alle Gewaltopfer möglich sein: für Frauen, Männer, Kinder, Jugendliche und Gefangene im Justizvollzug. Seriöse Opferzahlen gibt es nicht. Und alle Experten gehen von einer „sehr hohen“ Dunkelziffer aus. Viele Vergewaltigungen würden nie zur Anzeige gebracht.
Im Grunde hakt es mit der ASS an allen Ecken und Enden. „Die Finanzierung der Kosten für die Untersuchung ist ungeklärt. Krankenhäuser erhalten praktisch keine Vergütung dafür“, sagte Ute Speier-Lemm von Dachverband der autonomen Frauenberatungsstellen. Es gibt auch keine einheitlichen Spurensicherungssets, und die Kosten der Spuren-Lagerung sind ebenfalls nicht geregelt. Spuren werden bis zu zehn Jahre lang gesichert, aber Vergewaltigung und sexueller Missbrauch verjähren nach 20 Jahren. Eine längere Lagerung wäre also dringend erforderlich, sagen die Experten.
Ärzten fehlt die nötige Schulung
Viele Ärzte, Pfleger, Physiotherapeuten ernennen mangels Aus- und Weiterbildung die Spuren einer Vergewaltigung nicht, können sie nicht richtig sichern und wissen auch nicht, wie sie mit den Opfern umgehen sollen. „Spurensicherungssets sind wichtig, aber wenn die Ärzte nicht darin geschult sind, ist alles andere vergebliche Liebesmüh“, sagte Britta Gahr, Rechtsmedizinerin an der Uni Düsseldorf.
Der Polizei- und Justizvollzugsgutachter Jürgen Antoni beschrieb die furchtbare Situation vieler männlicher und weiblicher Gefangener, die jahrelang wiederholt Opfer von Vergewaltigungen werden: „Diese Menschen können die Vergewaltigung nicht aus dem Vollzug heraus anzeigen, weil sie dann mit Verfolgung durch die Täter rechnen müssen.“ Die Opfer müssten die Chance bekommen, ihre Peiniger nach der Haftstrafe mit der ASS gerichtsfest anzeigen zu können.
Um die Situation für Gewaltopfer zu verbessern und die anonyme Spurensicherung zu professionalisieren, müsste viel geschehen: „Einheitliche Standards“für die Spurensicherung müssten her, die offenen Finanzierungsfragen geklärt und die Ausbildung der Mediziner verbessert werden. „Es muss sichergestellt sein, dass Betroffene mit kurzen Wegezeiten Mediziner finden, die in der Lage sind, gerichtsfest zu dokumentieren“, fordert Britta Gahr von der Uniklinik Düsseldorf.
Wenn eine bundeseinheitliche Lösung dieser Probleme weiter auf sich warten lässt, dann müsse das Land NRW „zeitnah“ eigene Lösungen anbieten, sagte Conny Schulte vom Landesverband autonomer Frauen-Notrufe. Sie wünscht sich auch einen „sensiblen Umgang mit den Opfern“. Die psychosoziale Betreuung der Gewaltopfer lasse vielfach zu wünschen übrig.
>>> Hilfsangebote nicht überall verfügbar
In NRW gibt es in ca. 23 Kreisen und kreisfreien Städten Kooperationen zur Anonymen Spurensicherung, gefördert vom NRW-Ministerium für Gleichstellung. Dabei arbeiten Frauenunterstützungseinrichtungen, Ärzte und Kliniken sowie Rechtsmediziner zusammen. Daneben gibt es die Möglichkeit einer anonymen Spurensicherung in Kliniken oder Praxen.
Das Institut für Rechtsmedizin an der Uni Düsseldorf erprobt seit 2014 eine computergestützte Verletzungsdokumentation mit Körperschemata. Beteiligt sind an dem Modellprojekt 350 Ärzte in 66 Praxen und 37 Kliniken in NRW.