Essen. . Nach der Wahl des neuen Vorstands spricht der Islamverband von Dialog. Doch Kontakte zu radikalen Islamisten und die Türkei-Nähe wecken Zweifel.

Es sollte ein Zeichen für einen Neustart sein, für den Beginn eines entspannteren Dialogs mit Politik und Öffentlichkeit. Mit der Wahl eines neuen Vorstands will der türkische Islamverband Ditib mit Sitz in Köln signalisieren: Wir haben verstanden.

Der Verband möchte die Wahl als Reaktion auf die seit Jahren andauernde Kritik verstanden wissen. Man wolle die Debatten entschärfen und auf die staatliche Anerkennung als Religionsgemeinschaft hinarbeiten, heißt es in einer Verlautbarung. Für Entspannung sorgen sollen der neue Vorstandsvorsitzende, der Theologe Kazim Türkmen, und sein Stellvertreter Ahmet Dilek.

Forscherin „Dadurch ändert sich gar nichts“

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An einen Neustart glaubt Susanne Schröter, Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, allerdings keine Sekunde: „Dadurch ändert sich gar nichts“, sagte sie dieser Redaktion. „Türkmen ist genau wie sein Vorgänger ein türkischer Beamter.“ Im Leitungsgremium der Ditib seien nun wieder fast die Hälfte der Mitglieder Beamte des türkischen Staates.

Ähnlich sieht es der Grünen-Politiker Volker Beck, der als Lehrbeauftragter am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien der Ruhr-Uni Bochum tätig ist. Den Erneuerungsanspruch nannte er „einen Witz“. Von Neuorientierung und Aufarbeitung sehe er nichts, sagte er dem „Kölner Stadtanzeiger“.

Neuer Stellvertreter für Spionage-Affäre mitverantwortlich

Mit Ahmet Dilek sei ausgerechnet der Mann zum Stellvertreter gewählt worden, der für die Spionage-Affäre des Jahres 2016 mitverantwortlich sei, so Beck. Dilek sei zwischen 2014 und 2017 in Köln als Religionsattaché tätig gewesen. Somit falle die Übermittlung von Dossiers über Erdogan-Kritiker in Deutschland, die von Ditib-Imamen gesammelt worden waren, in Dileks Zuständigkeit.

Zeitgleich mit der Vorstandswahl fand in der Kölner Ditib-Zentralmoschee vergangene Woche eine Islamkonferenz mit rund 100 Teilnehmern aus 17 europäischen Ländern statt. An dem „innerislamischen Dialog“ sollen nach Medienberichten Mitglieder der radikalen Muslimbruderschaft teilgenommen haben, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Absage an europäischen Islam

Für Susanne Schröter ist diese Gleichzeitigkeit kein Zufall. Mit der „großen und geheimen Konferenz“ versuche die Ditib, „den ultrakonservativen Teil des europäischen Islam unter die Führung der Ditib und letztlich der türkischen Regierung zu stellen“.

In dem Abschlussdokument der Konferenz werde zudem einer westlichen Ausprägung des Islam eine Absage erteilt. Es könne keinen deutschen, französischen oder europäischen Islam geben, weil dies im „Widerspruch zur Universalität des Islams“ stehe. Ziel sei es, so Schröter, dass sich die europäischen Muslime unter dem Dach der Ditib organisieren sollen.

Der Verband wird von der türkischen Religionsbehörde Diyanet in Ankara gesteuert. An dieser engen Verbindung dürfte sich in Zukunft trotz aller Kritik wenig ändern. Die Ditib betonte in ihrer Erklärung zur Vorstandswahl, dass die Diyanet für den Verband als „Quelle ihrer spirituellen und religiösen Referenz auch weiterhin eine wichtige Stütze“ sei.

NRW geht auf Distanz

NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) hat nach der umstrittenen Islamkonferenz angekündigt, künftig auf Distanz zu den großen Verbänden zu gehen und andere Wege des Dialogs mit den Muslimen zu erproben. Um die Reformkräfte zu stärken, suche er vermehrt den Kontakt zu einzelnen Moscheegemeinden und Muslimen.

Denkbar seien Veranstaltungen über kontroverse Themen wie das Verhältnis von Mann und Frau im Islam oder Homosexualität. Stamp hält eine Schwächung der Ditib durch Abspaltungen in Zukunft für möglich. Viele moderate Kräfte würden den Kurs des Verbandes nicht mehr mittragen wollen.

>>> Der größte Islamverband in Deutschland

Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) mit Sitz in Köln gilt mit mehr als 900 Moscheegemeinden bundesweit als die größte islamische Organisation in Deutschland.

Wegen der Nähe zur Türkei und der Imam-Spitzelaffäre steht der Verband in der Kritik. Der Bund fördert keine Projekte in Ditib-Trägerschaft mehr, NRW hat die Kooperation ausgesetzt.