Bochum. . Eine Expertentagung an der Bochumer Ruhr-Universität fordert Großprojekte für das Ruhrgebiet aus einer Hand - und nennt gleich einige Beispiele.
Uli Paetzel will sich einmischen. Ihm geht es um die Zukunft des Ruhrgebiets, um ein demokratisches und modernes Gemeinwesen für das auch er, der Chef der Emschergenossenschaft, Verantwortung trage. „Wir brauchen den großen Wurf“, ruft er in den Saal mit gut 150 Gästen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Verwaltung an der Ruhr-Uni Bochum. „Wir wollen mehr als nur unseren Job machen, wir müssen in die Zukunft denken“, sagt Paetzel.
Deshalb hat er unter der bewusst provokativ gewählten Überschrift „Tief im Westen... Sind die Strukturen verstaubt?“ zu einer Tagung nach Bochum eingeladen. Erneut steckten die Experten die Köpfe zusammen, um die Probleme des Reviers nicht nur zu diskutieren, sondern konkrete Lösungen zu erarbeiten. „Wir haben kein Erkenntnisproblem“, betont Paetzel, „wir haben ein Umsetzungsproblem.“
Als Konkurrenzveranstaltung zur Ruhrkonferenz der Landesregierung will sich das Expertentreffen nicht verstanden wissen. Doch das Signal in Richtung Düsseldorf, dass auch die Wissenschaft das Thema aufgreife und aufs Tempo drücken will, war sicherlich beabsichtigt. Die Menschen hätten genug davon, mit dem Hinweis auf die großen Schwierigkeiten des Strukturwandels vertröstet zu werden. Es herrsche Unzufriedenheit in der Bevölkerung, was sich auch in jüngsten Wahlergebnissen zeige.
Klage über „politisches Vakuum“
Also wieso nicht von der Emschergenossenschaft lernen? Wieso nicht den gigantischen, fünf Milliarden Euro schweren Umbau der Emscher als Vorbild nehmen für andere städteübergreifende Vorhaben, um das Ruhrgebiet zukunftsfähig zu machen? Dies ist die Kernbotschaft Paetzels, über die im Anschluss viel diskutiert wurde.
„Das größte Infrastrukturprojekt Deutschlands konnte nur gelingen, weil es aus einer Hand geplant und gesteuert wird“, so Paetzel. Doch bei allen anderen wichtigen Herausforderungen sei das bisher nicht so. Etwa bei der Stadtentwicklung, der Digitalisierung, bei der E-Mobilität, bei Umwelt und Klimaanpassung oder der Flächenaufbereitung für Wohnen und Gewerbe. Jede Kommune plane und agiere mehr oder minder auf eigene Faust. Wie soll daraus ein funktionierendes Ganzes werden?
Forderung nach einheitlichem Nahverkehrssystem
Beispiel öffentlicher Nahverkehr: „Wir brauchen eine Zielmarke für ein einheitliches ÖPNV-System für das Revier, das Straße, Schiene und autonomes Fahren verbindet“, sagte Paetzel. Nötig sei „ein radikaler Wandel beim Verkehr, wenn wir die Zukunft gestalten wollen.“ Andere Metropolen seien da weiter.
Auch der nötigen Ausbau von Straßen und Brücken im Ruhrgebiet müsse aus einer Hand geplant und umgesetzt werden. Die Lehre aus dem Emscherumbau laute: Auf vielen Zukunftsfeldern müssten dem Gemeinwohl verpflichtete Gesellschaften eingerichtet werden, die Projekte zentral steuern. Paetzel forderte die Politik mit Nachdruck zum Handeln auf: „Wir haben ein politisches Vakuum. Die Politik ist nicht bereit, radikale Vorschläge zu machen. Aber wir brauchen jetzt diese Initiativen.“
Schädlicher Konkurrenzkampf
Prof. Nicolai Dose, Politikwissenschaftler der Uni Duisburg-Essen, mahnte mehr Kooperationen im Ruhrgebiet an. Wettbewerb fördere zwar Innovationen, doch mache er den Großen immer größer und den Schwachen schwächer, so Dose. „Die Kommunen im Ruhrgebiet konkurrieren sich gegenseitig runter.“ Dabei hätten viele ganz ähnlich gelagerte Probleme.
„Viele kleine Städte ergeben noch keine große“, skizzierte Prof. Stefan Siedentop, Raumplaner an der TU Dortmund, die Strukturschwäche des Ruhrgebiets. Die Region bringe nicht die „kritische Masse“ auf für eine wirtschaftlichen Entwicklung wie etwa in Berlin, Hamburg oder München. Die gute Nachricht aber sei: „Das Ruhrgebiet wächst wieder.“ Diesen Trend müsse die Region nutzen.