Duisburg/Berlin. Die Zahl ausländischer Kindergeldempfänger steigt. Duisburgs OB Sören Link schlägt Alarm: Schlepper hätten ein “Geschäftsmodell erkannt“.

Sören Link platzt langsam der Kragen, wenn er die vermüllten Vorgärten in einigen Stadtvierteln Duisburgs sieht. "Wir haben rund 19.000 Menschen aus Rumänien und Bulgarien in Duisburg, Sinti und Roma. 2012 hatten wir erst 6000", sagt der SPD-Oberbürgermeister der Ruhrgebietsstadt. Die Nachbarn fühlten sich "nachhaltig gestört durch Müllberge, Lärm und Rattenbefall".

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Einige der Neu-Duisburger kommen nicht, weil sie die Stadt so reizt, sondern weil sie das deutsche Kindergeld lockt. 194 Euro für die ersten zwei, 200 Euro für das dritte Kind, für jedes weitere Kind 225 Euro im Monat. Nach EU-Angaben beträgt das Durchschnittsgehalt in Rumänien 715 Euro brutto. Einen Kindergeldanspruch haben EU-Bürger grundsätzlich in dem Mitgliedstaat, in dem sie arbeiten oder wohnen. Versuche für eine Reform in der EU sind bisher gescheitert.

Pflegekräfte aus Südosteuropa unverzichtbar

Das Beantragen von Kindergeld ist denkbar einfach. Man meldet sich als Familie in Deutschland mit einem festen Wohnsitz an. Dann geht die Meldung an die Familienkasse, die überprüft das Vorliegen von Kindern und zahlt das Geld aus. "Ob die Kinder in Deutschland leben, ob sie in Rumänien oder Bulgarien leben, ob sie überhaupt existieren, das ist dann noch mal eine ganz andere Frage", sagt OB Link.

Auch der Deutsche Städtetag sieht Probleme, Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy betont aber: "Die meisten Menschen aus Südosteuropa sind in Deutschland gut integriert." Da sind zum Beispiel bestens ausgebildete Pflegekräfte aus Polen, ohne die in vielen Heimen nichts mehr laufen würde.

So viele Empfänger im Ausland wie Einwohner in Gelsenkirchen

Die neuesten Zahlen zum Kindergeldbezug sind allerdings brisant. "Im Juni 2018 wurde für 268.336 Kinder, die außerhalb von Deutschland in der Europäischen Union oder im Europäischen Wirtschaftsraum leben, Kindergeld gezahlt", sagt ein Sprecher von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). Das ist ein Empfängerkreis, der in etwa der Einwohnerzahl Gelsenkirchens entspricht. Ein Plus von 10,4 Prozent im Vergleich zum Stand Ende 2017 (243.234 Empfänger). Die meisten ausländischen Kindergeldbezieher sind demnach polnischer Herkunft, gefolgt von Tschechien, Kroatien und Rumänien.

Mit Ausweitung der EU-Freizügigkeit auf Osteuropa hat sich auch die Zahl von Kindergeldbeziehern im Ausland stark erhöht. 2010 zahlte der deutsche Staat noch 89.261 Empfängern Kindergeld - davon waren rund 31.500 deutsche Staatsbürger, die im Ausland leben. Diese Zahl ist bis heute konstant geblieben, während die Zahl von Beziehern mit Ursprung in Osteuropa steigt: Rumänien tauchte 2010 noch gar nicht in der Statistik auf, aus Bulgarien waren es lediglich zwölf. Ende Juni gab es 18 850 rumänische Empfänger und rund 7000 aus Bulgarien.

Immer wieder Hinweise auf Betrugsfälle

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Immer wieder gibt es bei Zahlungen von Kindergeld an ausländische Empfänger Hinweise auf Betrugsfälle wie gefälschte Geburtsurkunden für nicht existierende Kinder. Missbrauchsfälle seien vor allem in bestimmten Großstädten in Nordrhein-Westfalen aufgetreten, sagte ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit (BA). Die für die Auszahlung des Kindergelds zuständige Familienkasse der BA habe kürzlich mit ihren Partnern in Wuppertal und Düsseldorf 100 Verdachtsprüfungen durchgeführt und in 40 Fällen fehlerhafte Angaben festgestellt. "Die Summe des in diesen 40 Fällen unberechtigt bezogenen Kindergelds lag bei 400.000 Euro."

Eine Gesamtsumme möglicher Missbrauchsfälle lasse sich nicht seriös schätzen, sagte der Sprecher. "Diese Ergebnisse sind keine allgemeingültigen Quoten, die bundesweit für alle ausländischen Kindergeldbezieher angenommen werden könnten."

Lukratives Geschäftsmodell für Schlepper

Betrug ist oft schwer nachzuweisen - aber Duisburgs OB Link hat mit den Behörden ein Schema ausgemacht. "Wir müssen den kriminellen Sumpf der Schlepper austrocknen, die Menschen in Rumänien und Bulgarien anwerben und hierhin bringen in Wohnungen, in denen wir selbst alle nicht leben wollen."

Der Hinterhof eines
Der Hinterhof eines "Problemhauses" in Duisburg-Marxloh. "Wir müssen den kriminellen Sumpf der Schlepper austrocknen, die Menschen in Rumänien und Bulgarien anwerben und hierhin bringen in Wohnungen, in denen wir selbst alle nicht leben wollen", sagt Sören Link. © Stephan Eickershoff / FUNKE Foto Services (Archiv)

Es sei zudem ganz oft so, dass der Vermieter auch der Arbeitgeber oder Scheinarbeitgeber sei. "Die haben das als Geschäftsmodell erkannt: sie vermieten zu horrenden Mieten Schrottimmobilien, die eigentlich nicht mehr bewohnbar sind, und der Staat zahlt Kindergeld und Sozialleistungen." Wie viel Geld am Ende davon die Banden dahinter einkassieren, das ist ein Dunkelfeld.

Zwar zahlt das Kindergeld der Bund, die Städte müssen aber oft noch Kosten für die Unterkunft zuschießen. Das größte Problem ist die Gefahr für den sozialen Frieden, ein Konjunkturprogramm für die AfD? 2017 wurden 35,5 Milliarden Euro an Kindergeld auf Konten im Inland überwiesen und bereits 343 Millionen auf Konten im Ausland. Das sagt erstmal wenig, da sich auch im Ausland tätige deutsche Staatsbürger Kindergeld dorthin überweisen lassen können.

Bislang keine Statistik über Missbrauchsfälle

Aber rechnet man nur die Zahl der Kindergeldempfänger im Ausland hoch, geht es um einen Betrag von rund 600 Millionen Euro im Jahr. Schlagzeilen machte auch ein Fall aus Bremerhaven, wo durch Scheinarbeitsverträge vor allem für Bulgaren Sozialleistungen unberechtigt beantragt und gezahlt worden sind. Es entstand ein Schaden von 5,5 Millionen Euro.

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In Sachen Kindergeld räumte die Bundesregierung auf eine AfD-Anfrage ein, dass eine Bundesstatistik über Missbrauchsfälle bisher nicht existiert. Immer wieder werden scheinbar gefälschte Geburtsurkunden für nicht existierende Kinder oder Schulbescheinigungen vorgelegt, obwohl die Kinder gar nicht in Deutschland leben. In welchem konkreten Land die Kinder tatsächlich leben, ist in der Regel nicht bekannt, räumt das Finanzministerium ein. SPD-Chefin Andrea Nahles kennt das Problem aus ihrer Zeit als Arbeitsministerin. Sie könnte sich die sogenannte Indexierung vorstellen, die Anpassung der Kindergeldzahlungen an die Lebenshaltungskosten im Ursprungsland - das könnte die Kosten um mehrere Hundert Millionen Euro reduzieren.

Oberbürgermeister Sören Link ist frustriert

Im Rahmen ihrer Sommerreise besuchte Nahles jüngst auch den Fürther Oberbürgermeister Thomas Jung (SPD) - und konnte sich einiges anhören. Jung sieht das Problem in rund 20 Städten rasant anwachsen, vor allem dort, wo Mieten günstig sind. Nahles verweist auf EU-Recht, da seien Berlin die Hände gebunden.

"Ich muss mich hier mit Menschen beschäftigen, die ganze Straßenzüge vermüllen und das Rattenproblem verschärfen. Das regt die Bürger auf", sagt Duisburgs OB Sören Link. © Daniel Elke/FUNKE Foto Services

Doch der Druck wächst, etwas zu tun. In betroffenen Städten droht das Fundament eines versöhnlichen Miteinanders wegzubrechen. Jung und sein Duisburger Kollege Link fordern die Koalition von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zum Handeln auf, auch auf EU-Ebene. "Ich gebe es ständig in Düsseldorf und Berlin zu Protokoll und bitte um Abhilfe", sagt Link frustriert.

Sozialer Frieden in Gefahr

Die rechtspopulistische AfD hat die Thematik wiederholt im Bundestag angeprangert - Link mahnt, die große Koalition von Union und SPD dürfe sich nicht weiter wegzuducken. "Hier geht es auch um das Vertrauen der Menschen vor Ort, die das Tag für Tag mitbekommen." Das widerspreche alles dem Sinn der europäischen Freizügigkeit. Diese habe das Ziel, woanders eine Arbeit zu finden, nicht in das Sozialsystem einzuwandern und staatliche Gelder abzukassieren. (dpa)