Düsseldorf/Lünen. Gewalt an NRW-Schulen ist rückläufig, aber Lehrer sehen eine zunehmende Verrohung und fordern mehr Sozialarbeitern und Schulpsychologen.
Der tödliche Messerangriff in Lünen hat eine Debatte über unbeschulbare Jugendliche in Nordrhein-Westfalen ausgelöst. „Unsere Lehrer brauchen mehr Unterstützung beim Umgang mit hochaggressiven Schülern, die oft aus völlig überforderten Elternhäusern kommen. Die aktuelle Zahl an Sozialarbeitern und Schulpsychologen reicht bei weitem nicht aus“, sagte die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Dorothea Schäfer, unserer Zeitung.
Der 15-jährige Alex M., der nach bisherigem Ermittlungsstand am Dienstag an der Lüner Käthe-Kollwitz-Gesamtschule seinen 14-jährigen Mitschüler Leon H. erstochen hat, war zuvor laut Polizei von der örtlichen Schulsozialarbeiterin als „aggressiv und unbeschulbar“ eingestuft worden. Gegen ihn wurde am Mittwoch Haftbefehl wegen Mordes erlassen. Offenbar war der Tatverdächtige bereits aus disziplinarischen Gründen an eine Hauptschule verwiesen worden. Am Morgen des Messerangriffs war er mit seiner Mutter zu einem Gespräch mit der Schulsozialarbeiterin wieder an der Käthe-Kollwitz-Gesamtschule erschienen.
"Unbeschulbarkeit" ist nicht vorgesehen
Das Schulministerium wies darauf hin, dass grundsätzlich bis zum 16. Lebensjahr die allgemeine Schulpflicht gelte und formal keine „Unbeschulbarkeit“ diagnostiziert werden könne. Allerdings stehe den Schulen ein gesetzlicher Ordnungsrahmen zur Verfügung, der bis zum Verweis an eine andere Schule oder zum zeitweiligen Ruhen der Schulpflicht führen könne.
Laut GEW-Landeschefin Schäfer sei das Ruhen der Schulpflicht eine drakonische Maßnahme, zu der Schulleitungen eher selten greifen müssten. Grundsätzlich sei jedoch eine „Verrohungstendenz und ein deutlich aggressiverer Ton im Schulalltag“ zu verzeichnen – und zwar unterhalb der Schwelle, ab der Polizei oder Notarzt gerufen werden müssen. Nach Angaben der für Lünen zuständigen Bezirksregierung Arnsberg wurden allein im Schuljahr 2016/17 in diesem einen von landesweit fünf Regierungsbezirken 237 Schüler aus disziplinarischen Gründen aus der Schule entlassen, in 383 Fällen wurde dies angedroht. In 836 Fällen sei ein vorrübergehender Ausschluss vom Unterricht von bis zu zwei Wochen ausgesprochen worden.
Gewerkschaft warnt vor eskalierenden Konflikten
Der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, warnte davor, die Schulen weiter allein zu lassen mit Jugendlichen, die emotional und sozial auffällig seien: „Schon länger weisen wir darauf hin, dass Konflikte schneller und öfter eskalieren und mit derberen Mitteln ausgetragen werden.“ Nicht für jeden Jugendlichen sei der Unterricht in einer Regelschulklasse angemessen.
Die Kriminalitätsstatistik in NRW sieht dagegen eine deutlich abnehmende Tendenz bei Gewalt an Schulen. 2016 wurden landesweit an allen rund 6000 Schulen rund 22.000 Straftaten registriert, darunter 879 Fälle von Gewaltkriminalität. 2013 waren es noch 1074 Fälle, obwohl seither die Gesamtzahl der Schüler auf über 2,5 Millionen angestiegen ist. Das Landeskriminalamt erklärte, Körperverletzungen mit schulischem Bezug seien seit 2011 um 30 Prozent zurückgegangen. Die Polizei unterstütze die Schulen bei der Gewaltprävention, es gebe längst feste Ansprechpartner für Lehrer und Eltern in problematischen Situationen.