Hoyerswerda. Sieben Tage Ausnahmezustand im Jahr 1991 haben Hoyerswerda geprägt: Eine Spurensuche 25 Jahre nach den rechtsextremen Ausschreitungen.

Die Ereignisse aus dem Herbst 1991 in Hoyerswerda sind nach 25 Jahren in einem dicken, grünen Hefter aufgelistet. Doch bei Zeitzeugen und bei neuer Betrachtung werden sie jetzt lebendig.

Horst-Dieter Brähmig, einst Oberbürgermeister, klappt den Pappdeckel auf. Alte Polizeiprotokolle erinnern an die fremdenfeindlichen Übergriffe auf ehemalige Vertragsarbeiter und Asylbewerber im September vor 25 Jahren genauso wie vergilbte Zeitungsausschnitte. „Damals hat die Luft gebrannt“, sagt der 78-Jährige. Heute habe sich die Stadt breit gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus aufgestellt.

Historiker hat mit 500 Bewohnern über Ereignisse gesprochen

Das frühere Stadtoberhaupt wohnt in der Altstadt, dort kennt jeder jeden. Zehn Minuten Autofahrt liegen zwischen den Ackerbürgerhäusern und den anonymen Hochhausriesen. Die langen Schluchten dieses Neubaugebiets durchzieht im Wendeherbst 1989 Hoffnungslosigkeit.

„In der DDR ging es den Menschen dort gut. Nun brach alles weg, es gab die Angst vor Arbeitslosigkeit, sozialem Abstieg und zunehmender Kriminalität“, sagt Christoph Wowtscherk. Der promovierte Historiker hat für seine Doktorarbeit die Ereignisse von damals rekonstruiert und 500 Hoyerswerdaer befragt.

Mit Beschwerden fing es an

Sie hätten erzählt, dass die Stadt sich wie ein Zündfass anfühlte. Nicht zuletzt, weil ohne Ankündigung 230 Asylbewerber in die Stadt kamen. Sie zogen in Neubauten und bekamen staatliche Hilfe. Das Besondere an Hoyerswerda sei, so Wowtscherk, dass nach heimlichen Anschlägen nun Hass auf Ausländer in Deutschland öffentlich durch Hunderte Schaulustige tagelang begleitet wurde.

Auch Brähmig erinnert sich an die Spannungen vor dem 17. September 1991. Es gab Beschwerden über laute Abschiedsfeiern der Mosambikaner in der Albert-Schweitzer-Straße kurz vor ihrem Heimflug. Es gab Streit um die Bezahlung einer Zigarettenschachtel zwischen Rechtsradikalen und vietnamesischen Händlern, dieser habe das „Ventil gegen die Schwächeren“ geöffnet. Die ersten fremdenfeindlichen Übergriffe gelten dem einstigen Vertragsarbeiterwohnheim.

Beobachter sprechen von Schlachten

Vier Abende lang belagern Neonazis das Haus. Beobachter sprechen von „Schlachten“. Es fliegen Steine und Brandsätze in beide Richtungen. Einige Einwohner der Neustadt, darunter Familien, kommen zum Zuschauen, andere applaudieren. „Ausländer raus“-Rufe ertönen.

Brähmig erkennt seine Stadt nicht wieder. Er ist damals Mitarbeiter im Landratsamt. Er fragt die Randalierer: „Warum steht ihr hier?“ und bekommt ein Schulterzucken. Stattdessen ziehen 500 Menschen weiter zum neuen Asylbewerberheim in der Müntzer-Straße. Die Polizei ist überfordert. Nach den Ereignissen muss der sächsische Innenminister zurücktreten.

Mit dem Ruf Hoyerswerdas muss die Politik leben

Nach sieben Tagen sind die Ausländer weg. Unter dem Jubel von Rechten verlassen Vertragsarbeiter und Flüchtlinge in Bussen die Stadt. Bis heute ist Hoyerswerda ein Synonym für Ausländerfeindlichkeit. Damit müssen Brähmig und sein Nachfolger Stefan Skora leben. „Die Stadt hat sich in 25 Jahren gut gegen Rechtsextremismus aufgestellt“, sagt Skora und nennt Projekte wie die Schulaktion „Hände gegen rechts“.

Und dennoch: Wegen der rechten Szene steht Hoyerswerda im besonderen Blick der Verfassungsschützer. 2015 nahm die Polizei 31 rechtsmotivierte Straftaten in der Stadt auf, ergab eine Anfrage der Grünen bei der Staatsregierung. Im Juni 2015 warfen drei Jugendliche einen Brandsatz auf das Asylbewerberheim in Hoyerswerda. Zu Schaden kam niemand. Gewaltig zeigte sich 2006 die Neonazis-Szene: 15 Jahre nach den Vorfällen marschierten 400 Rechte durch die Stadt. Sie kamen aus ganz Sachsen und auch aus Brandenburg.

Es gibt immer noch 25 bis 30 Unverbesserliche

Hoyerswerda hält damals kurz die Luft an. Engagierte gründen schließlich die Initiative „Zivilcourage“. Sie kümmert sich um politische Bildung von Schülern oder um die derzeit knapp 700 Flüchtlinge in der Stadt. Sie organisiert Bürgerforen und macht auf Läden aufmerksam, die nicht auf NPD-Literatur verzichten wollen. Sie setzte sich auch für ein Mahnmal zu Hoyerswerda '91 ein. Es steht seit zwei Jahren zentral im Neubaugebiet in Blickweite zum einstigen Vertragsarbeiterhaus. Beide Gebäude sind inzwischen abgerissen.

Einer aus der Initiative ist Pfarrer Jörg Michel. „Es gibt 25 bis 30 Unverbesserliche. Leider hört man nur die Lauten. Aufgrund des demografischen Wandels und des daraus resultierenden massiven Rückbaus sucht die Neustadt immer noch nach Fassung“, sagt er. Für den Theologen gehören die Ereignisse 1991 zur Geschichte Hoyerswerdas. „Es hilft, sensibel zu bleiben“, sagt er und macht sich auf den Weg.

In einer Stunde treffen sich die Zivilcourage-Netzwerker. Ausländerhass soll in Hoyerswerda keinen Nährboden mehr bekommen. (dpa)