Essen. Forschung, Soziales, Stadtentwicklung: Das Ruhrgebiet profitiert von zahlreichen EU-Töpfen. Doch nicht alle Mittel werden abgerufen.

Das Ruhrgebiet gehört zu den großen Nutznießern der EU-Förderpolitik. Gelder aus Brüssel haben den Strukturwandel flankiert, Forschungsprojekte ermöglich und mitgeholfen, benachteiligte Stadtteile aufzupäppeln. Ein Überblick.

Wie viel EU-Gelder sind ins
Ruhrgebiet geflossen?

Um das exakt beziffern zu können, muss man dicke Akten wälzen. Die EU-Förderlandschaft ist so komplex wie die Gemeinschaft selbst. Für das Ruhrgebiet kommen allein 34 verschiedene Fördertöpfe in Betracht, die von staatlichen Stellen, aber auch privaten Akteuren und Unternehmen angezapft werden können. Zudem variiert der Anteil der EU-Förderung von Projekt zu Projekt. 2016 hat das Europareferat des Regionalverbandes Ruhr (RVR) erstmals überhaupt für eine deutsche Region eine Übersicht der finanziellen Zuwendungen der EU für die Förderperiode 2007 bis 2013 erstellt. Aus den drei für diese Region besonders relevanten Struktur- und Investitionsfonds EFRE (Stadtentwicklung), ESF (Soziales) und ELER (Landwirtschaft) flossen in diesem Zeitraum demnach knapp 1,2 Milliarden Euro ins Revier. Die Hälfte des Geldes stammt direkt aus den Kassen der Europäischen Union, die andere Hälfte bilden die entsprechenden Landesanteile und Eigenanteile etwa der Kommunen. Auch für die derzeit laufende Förderperiode zog der RVR eine Zwischenbilanz bis 2017. Seit 2014 lösten EU-Projekte demnach Gesamtinvestitionen von 523 Millionen Euro im Ruhrgebiet aus.

Gibt es noch weitere Zuwendungen aus Brüssel?

Ja. Das Ruhrgebiet profitiert anteilig besonders durch die Beteiligung an europaweiten Forschungsverbünden. Nach RVR-Berechnungen flossen bis Mitte 2017 allein aus dem Programm „Horizont 2020“ rund 124 Millionen Euro an Revier-Forscher. In der Förderperiode 2007 bis 2013 wurden insgesamt 600 Projektbeteiligungen von Revier-Hochschulen mit EU-Mitteln gefördert. Insgesamt gab es in diesem Zeitraum knapp 4700 EU-Förderempfänger aus dem gesamten Revier.

Die Renaturierung der Emscher ist das größte Infrastrukturprojekt im Revier. Auch hier hat sich die EU engagiert. Um wieviel Geld geht es?

Der Emscherumbau ist von der Europäischen Investitionsbank (EIB) mit einem Milliardenkredit angeschoben worden. In drei Tranchen überwies die in Luxemburg beheimatete EU-Bank insgesamt 1,3 Milliarden Euro an die Emscher-Genossenschaft – mehr als ein Viertel des Gesamtvolumens. Die Emschergenossenschaft bekommt das Geld aber nicht geschenkt. Der Kredit muss vollständig getilgt werden, Zinsen und Laufzeit sind nach EIB-Angaben aber konkurrenzlos günstig.

Wer kann EU-Fördergelder
beantragen? Und vor allem: wo?

Im Prinzip jeder. In der Regel sind es jedoch in erster Linie die Kommunen oder staatliche Stellen, die Projektanträge einreichen. Die Suche nach dem passenden Fördertopf kann sich dennoch zur Geduldsprobe entwickeln. Erster Ansprechpartner ist der Europabeauftragte der Stadtverwaltung. Doch vor allem kleinere Städte haben nur einen Teilzeitbeauftragten, der noch für andere Verwaltungsarbeiten zuständig ist. Hier kommt die Europaabteilung des RVR ins Spiel. „Wir haben allein 60 EU-Newsletter abonniert, die wir systematisch nach EU-relevanten Informationen für die Kommunen durchforsten“, sagt Karina Kleinowski vom Referat Europäische und regionale Netzwerke.

Welche Aufgaben übernimmt die EU-Abteilung des RVR noch?

Das sechsköpfige Team um Referatsleiter Michael Schwarze-Rodrian berät Behörden in Europa-Fragen und bietet regelmäßig EU-Workshops für Verwaltungen an. „Dabei erklären wir die komplette Förderlandschaft der EU“, sagt Karina Kleinowski. Die gelernte Raumplanerin weiß auch: EU-Mittel kommen nicht von alleine. Man muss sie schon beantragen. Oft sei nicht bekannt, dass viele kommunale Pflichtaufgaben mit EU-Geldern flankiert werden könnten.

Lässt das Ruhrgebiet Fördergelder liegen?

Das lässt sich nicht ausschließen. Laut RVR gibt es insbesondere bei Bewerbungen um EU-Gelder aus den Bereichen Stadtentwicklung, berufliche Qualifizierung, Innovation und Forschung noch erheblich Luft nach oben. Mittel für Maßnahmen zur Armutsbekämpfung und die Förderung von Langzeitarbeitslosigkeit werden dagegen überproportional abgerufen.