Hagen/Arnsberg. Die Zahlen steigen: 60 Millionen Bäume hat der Borkenkäfer in NRW schon zerfressen. Der Schädling wütet jetzt vor allem im Sauer- und Siegerland.

Überraschungen sind nicht zu erwarten: Am Freitag will Umweltministerin Ursula Heinen-Esser den Waldschadensbericht 2020 für Nordrhein-Westfalen vorlegen. Gute Neuigkeiten dürfte die CDU-Politikerin dann kaum verkünden. Wie schlecht es dem Wald geht, ist bekannt. Der Borkenkäfer leistet ganze Arbeit...

Die neuesten Zahlen: Bei der Fichte sind in NRW mittlerweile seit 2018 mehr als 30 Millionen Kubikmeter Schadholz angefallen (Stand September). Das entspricht rund 60 Millionen Bäumen. Zum Vergleich: Der Orkan Kyrill richtete Anfang 2007 „nur“ zwölf Millionen Kubikmeter Schaden an. Derzeit steht gut die Hälfte des Käferholzes noch im Wald, muss also möglichst schnell geschlagen und abtransportiert werden, damit das Insekt sich im Frühjahr nicht weiter verbreitet. Bei Temperaturen unter 16,5 Grad legt der Käfer eine Flugpause ein.

Im Sauerland ist’s schlimmer

In der Eifel treten die Schäden nicht so stark auf wie befürchtet, im Sauer- und Siegerland reißen Dürre, Stürme und Käfer dagegen noch größere Schneisen in die Wälder als noch vor Monaten angenommen. „Deutlich ist, dass der Borkenkäfer in diesem Jahr auch verstärkt höhere Lagen zum Beispiel des Sieger- und Sauerlandes befallen hat“, teilt das NRW-Umweltministerium auf Anfrage mit. Allein im kurkölnischen Sauerland ist die Menge des stehenden Käferholzes von Juli bis September um 243 Prozent gestiegen. Viele Bäume seien noch grün, unter der Rinde aber von Borkenkäfern befallen. Das heißt: Das Ende der Plage ist noch lange nicht in Sicht.

Auch Buchen sterben

Zudem sterben offenbar in einigen Gebieten auch immer mehr Fichten, obwohl sich dort noch gar keine Käferlarven durch die Rinde gefressen haben. Die Bäume verlieren schlicht den Kampf gegen die Trockenheit. „Zwei Sommer in einem Jahr sind für die Fichte in vielen Bereichen Nordrhein-Westfalens das, was der Eisberg für die Titanic war“, heißt es im jüngsten Bericht der Taskforce Borkenkäfer fast schon pathetisch. Auch die Zahl der geschädigten Buchen steigt – auf bisher 870.000 Kubikmeter im gesamten Wald in NRW.

Um die Borkenkäferausbreitung zu bremsen, müssen geschädigte Bäume nach wie vor so schnell wie möglich gefällt und aus dem Wald geschafft werden. Damit sind Waldbauern sowie kommunale Forstbetriebe derzeit noch ziemlich gut ausgelastet. Die Wiederaufforstung ist deshalb noch nicht richtig in die Gänge gekommen. Bisher beziehen sich erst weniger als 0,1 Prozent der beim Land angefragten Förderungsanträge auf die Aufforstung. Allerdings gibt es auch Waldbauern die das Käferholz einfach stehen lassen und damit ihre Nachbarn zur Weißglut bringen. Denn sie fürchten um ihre noch intakten Baumbestände. Derzeit diskutiert die Landesregierung, ob rechtlichen Schritte gegen Aufarbeitungs-Verweigerer möglich sind. Einer von ihnen ist übrigens ein Großgrundbesitzer aus dem Sauerland.

Weniger Käfernachwuchs

Aber es gibt auch positive Nachrichten: Wegen des relativ regenreichen Sommers hat der Borkenkäfer in den niederen Waldlagen nur zwei Generationen entwickelt; es waren drei befürchtet worden. Damit verbindet sich die Hoffnung, dass der gefräßige Schädling zukünftig in etwas kleineren Horden über die Bäume herzieht als in den vergangenen zwei Jahren. „Im Winter 2020/2021 können wir in Regionen oberhalb von ca. 500 m Herr der Lage werden“, heißt es von der Taskforce.

In Kürze will NRW sein Wiederbewaldungskonzept vorlegen. Es liegt uns zum Teil im Entwurf schon vor. Demnach setzt das Umweltministerium einen Schwerpunkt auf Biodiversität, also auf möglichst großem biologische Vielfalt. Ziel ist „die Schaffung klimastabiler Wälder zum Erhalt der vielfältigen Waldfunktionen“. Das Umweltministerium bevorzugt eine Kombination aus Naturverjüngung und Pflanzung. In diesem Zusammenhang dürfte die Birke ein Comeback feiern: Sie galt lange als Waldunkraut, könnte jedoch in Zukunft als Vorwald anderen Baumarten beim Wachsen helfen. Fest steht: Für Monokulturen ist die Zeit abgelaufen. Mischbeständen aus heimischen Baumarten gehört die Zukunft, zum Beispiel Traubeneiche, Spitzahorn, Vogelkirsche und Esskastanie. Für die Wiederaufforstung kalkulieren die Experten Kosten in Höhe von mehr als 5000 Euro pro Hektar.

Ob den Waldbauern, die mit dem Holz ihren Lebensunterhalt verdienen, das Konzept gefällt, ist noch nicht ausgemacht. Angesichts knapper Kassen sind sie auf möglichst schnell wachsendes, vermarktbares Holz angewiesen.

Schweinepest droht auch noch

Am Horizont ist bereits die nächste dunkle Wolke in Sicht: Sollte sich die Afrikanische Schweinepest (ASP) auch in Nordrhein-Westfalen ausbreiten – bisher nähert sich die Tierseuche aus Ostdeutschland und aus den Beneluxländern --, dürfte das auch Auswirkungen auf die Wiederaufforstung haben. Wird doch in ASP-Gebieten üblicherweise ein Waldbetretungsverbot erlassen.

Es gibt übrigens auch Profiteure der Krise: die Sägewerke. Sie kaufen das Holz derzeit deutlich günstiger ein, verkaufen es aber teurer als vor der Krise. Das hängt auch damit zusammen, dass die Corona-Krise weltweit einen Bau- und Handwerker-Boom ausgelöst hat. „Die großen Säger machen sich gerade die Taschen voll“, sagt ein Waldbauer aus dem Sauerland. Pikant: Die Sägeindustrie verklagt derzeit das Land NRW auf mehr als 180 Millionen Euro Schadensersatz. Ihr Vorwurf: Die Säger hätten das Holz wegen eines Kartells jahrelang zu teuer einkaufen müssen.