Berlin/Mailand. .

Der Mann ist ein Rätsel. Das nächste Frusterlebnis mit Wladimir Putin ist nie weit. Gleichwohl ist der Dialog mit Russlands Präsidenten für Angela Merkel ein Wert an sich. Im Gespräch bleiben, ist das Ziel ihrer Telefondiplomatie in der Ukraine-Krise. Gestern stand sogar mehr auf dem Plan: ein Treffen in Mailand.

Das letzte Vier-Augen-Gespräch führten sie Mitte Juli am Rande des Fußball-WM-Endspiels in Brasilien. Vor ihrem Abflug nach Mailand redete die Kanzlerin im Bundestag Klartext: „Den entscheidenden Beitrag zur Deeskalation muss Russland leisten.“ Sie dringt auf eine tatsächliche Waffenruhe. Aber wie groß sind Merkels Erfolgschancen?

Er sei „nicht zu optimistisch“, sagte der Unions-Außenpolitiker Philipp Missfelder ganz offen. Die Signale sind widersprüchlich. Am Sonntag hatte Putin den Abzug von 17 000 Soldaten angeordnet, die Manöver der Grenze zur Ukraine abhalten. Größere Truppenbewegungen aber kann die Nato nicht bestätigen. Der CDU-Verteidigungspolitiker Henning Otte erklärte unserer Zeitung, was viele umtreibt: „Der Abzug darf kein Fake sein.“ Das Misstrauen ist erklärbar. Anfang September wurde in Minsk eine Waffenruhe vereinbart. Aber in Wahrheit gibt es fast täglich Kämpfe zwischen Separatisten und ukrainischen Regierungstruppen. Der Westen will endlich Taten sehen.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow redet zwar von „Reset 2.0“, von einem Neustart. Davon ist man indes weit entfernt. Im Gegenteil: Vor dem Abflug nach Mailand übte Putin scharfe Kritik an den USA - noch ein Beispiel für widersprüchliche Signale.

In der norditalienischen Metropole steht ein Asem-Gipfel an, ein europäisch-asiatisches Treffen, das ob der Krisendiplomatie fast in den Hintergrund gedrängt wird. Zumal Putin nicht nur die Kanzlerin treffen sollte, sondern heute auch den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko.

Beitrag gegen IS erwartet

Erst am Mittwoch hatten sich westliche Spitzenpolitiker in einer Videokonferenz abgestimmt. Sie erwarten von ­Putin nicht nur eine Deeskalation in der Ukraine, sondern auch einen Beitrag im Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“. Im UN-Sicherheitsrat ist man darauf angewiesen, dass Putin mitzieht. Als Vetomacht kann Russland jeden Beschluss verhindern und seine Blockademacht voll ausspielen.

Merkel geht davon aus, dass Putin die Separatisten bremsen könnte - wenn er denn wollte. Er aber redet hinter verschlossenen Türen so, als habe er wenig Einfluss; als könne er auch den Waffenschmuggel nicht kontrollieren. Da die ukrainische Armee erst recht nicht Herrin der Lage ist, nahm der Plan Formen an, den Grenzstreifen mit Drohnen zu überwachen. Das haben Frankreich und Deutschland der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) angeboten. Die Bundeswehr würde Luna-Drohen einsetzen. Bloß: Die Franzosen pochen darauf, die Mission mit Soldaten abzusichern (was die OSZE ablehnt). Außerdem drängt die Zeit. Die Drohnen können angeblich nur bei Temperaturen bis Minus 17 Grad fliegen. Wenn es kälter wird, drohen sie zu vereisen und abzustürzen.

Der Winter nützt Putin

Der Winter spielt Putin ohnedies in die Karten. Er kann der Ukraine den Gashahn abdrehen. Generell ist das Kräfteverhältnis schwer kalkulierbar. Auf der einen Seite zeigen westliche Wirtschaftssanktionen Wirkung. Auf der anderen Seite gelang es nicht, Putin zu echten Zugeständnissen zu bewegen.

Und so zeigt das Treffen in Mailand die Widersprüchlichkeit in den Beziehungen auf: Gerade erst war der diesjährige Petersburger Dialog verschoben worden, also der Austausch (seit 2001) zwischen der deutschen und der russischen Zivilgesellschaft. Aber dann haben Putin und Merkel plötzlich Zeit füreinander. Sogar eine Reise der Kanzlerin nach Moskau ist denkbar, wohl aber kaum noch in diesem Jahr.

Die Kanzlerin würde das nur machen, wenn auch gesichert wäre, dass sie nicht mit leeren Händen zurückkehrt. Dazu müsste sie erst wissen, woran sie ist - beim rätselhaften Putin.