Ruhrgebiet. . Der Schock wegen der Übergriffe privater Wachleute auf Asylbewerber sitzt tief. Nun versuchen die Beschuldigten, sich zu rechtfertigen. Im Kern sagen sie: Wir waren völlig überfordert. Ein Heimleiter versichert: “Ohne Sicherheitsdienst würden die Bewohner ihre Unterkunft auseinandernehmen.“

Der Ablauf der Vorgänge im Burbacher Flüchtlingsheim ist – bis auf die wenigen Informationen, die den bekannten Videoaufzeichnungen zu entnehmen sind – unklar. Wie erinnern sich die Wachleute, gegen die nun ermittelt wird? Im Kern sagen sie: Wir waren völlig überfordert.

Journalisten des „Siegerland Kuriers“ und von „Spiegel Online“ haben mit ihnen gesprochen. Sie schildern übereinstimmend ein katastrophales Bild von „unkontrollierbaren“ Zuständen in dem Haus, einen „rechtsfreien Raum“. Bilder belegen demnach zugemüllte Duschen, Kot und Erbrochenes auf den Fluren, stapelweise Unterwäsche und Hygieneartikel mit Menstruationsblut auf Toiletten. Es habe Tage gedauert, bis sich jemand darum gekümmert habe.

Zahlreiche Flüchtlinge seien „äußerst schwierige Charaktere“ gewesen, heißt es in den Berichten. Einer habe sich immer wieder den Bauch mit einem Messer „zerfurcht“. Feuerlöscher seien durch das Heim geworfen worden. Die Wachleute fanden sich mit ihrer Personalstärke von vier bis sechs gegenüber rund 700 Flüchtlingen in einer Situation der Unterlegenheit.

„Problemraum“ ohne Toilette

Nicht einmal die bei einigen Anlässen alarmierte Polizei habe geholfen. In der Lokalzeitung erhebt der S. genannte Wachmann den Vorwurf, ein Polizist habe gesagt: „Das nächste Mal holen wir den erst ab, wenn ihr den fünf Stunden bearbeitet habt.“

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Nach den Berichten sind Flüchtlinge zeitweise in einen „Problemraum“ gesperrt worden, stundenlang, ohne Möglichkeit, die Toilette aufzusuchen. Sie hätten aus dem Fenster uriniert. Die Wachleute hätten Handschellen eingesetzt, was als Zwangsmittel strikt verboten gewesen sei. Zu einem früheren Zeitpunkt seien Wachleute durch die Räume gegangen, hätten geprüft, ob Flüchtlinge rauchten: „Hatten sie Rauch geschnüffelt, ist das Zimmer gestürmt worden.“ Diese Wachleute seien auch als „SS-Trupps“ bezeichnet worden. Bei ihnen habe es einen „deutlich erkennbaren rechten Hintergrund“ gegeben.

Die Misshandlungs-Szene erklärt ein Dieter P. genannter Wachmann so: Der Flüchtling habe Alkohol getrunken, sich erbrochen und die Wachleute mit Glasscherben angegriffen. P.: „Dann habe ich die Nerven verloren und ihm gedroht.“

„Steinzeitliches Sozialverhalten“

Massenschlägerei, Randale, Beleidigung. Drogenmissbrauch, Alkoholgelage, Diebstahl: Auszüge aus dem Polizeibericht für Hemer, Zentrale Unterbringungseinrichtung für Flüchtlinge. Als ein Bewohner im März einen anderen mit einem Zaunpfahl fast totschlägt, schreibt der Bürgermeister einen Brandbrief nach Düsseldorf: Er fürchtet um die Sicherheit in seiner Stadt. Wofür ein Flüchtlings-Heim einen Sicherheitsdienst überhaupt braucht? „Die würden hier sonst die Einrichtung auseinandernehmen“, sagt Horst Labrenz, ihr Leiter.

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Der ist ein Freund offener Worte und beschönigt nichts. Die Zugangszahlen in Hemer seien „der reine Irrsinn“, sie sind jetzt 200 Menschen über dem Limit. An jeder Ecke entstehen da Schlangen, selbst die an der Essensausgabe wird von Sicherheitsleuten bewacht. „Rassismus in Reinform“ beobachtet Labrenz zwischen den Volks- und Religionsgruppen. Besonders problematisch: junge Männer aus Nordafrika. Sie sind es, die im Polizeibericht am häufigsten auftauchen, der Heimleiter bescheinigt einigen von ihnen „steinzeitliches Sozialverhalten“.

Ein Gefühl wie im Gefängnis 

Die Notwendigkeit von Sicherheitsdiensten bestreitet nicht einmal der Flüchtlingsrat NRW. Durch das Aufeinandertreffen verschiedener Volks- und Religionsgruppen „in den beengten Verhältnissen“ einer Gemeinschaftsunterkunft entstünden zwangsläufig Konflikte, sagt Geschäftsführerin Birgit Naujoks in Bochum. Sie weiß von einer Einrichtung, die den Syrern etwas Gutes tun wollte: Sie legte die Bürgerkriegsflüchtlinge zusammen, unter verfeindeten Konfliktparteien kam es zum Streit. „Die Syrer sind ja natürlich auch keine homogene Gruppe“, so Naujoks. Trotzdem glaubt der Flüchtlingsrat: „Durch organisierte Sozialarbeit wäre die Situation lösbar.“ Zäune und Wachen aber vermittelten den Menschen das Gefühl, „sie kämen in ein Gefängnis“.

Dortmunds Ex-Stadtdirektor Siegfried Pogadl: „Solche Übergriffe hat es früher nicht gegeben. Die Wachleute waren nie allein.“

Auch in den 1990er-Jahren, als Jugoslawien zerfiel, war die Lage in den Wohnheimen schwierig, erinnert sich Siegfried Pogadl, damals Chef der Landesstelle Unna-Massen und später Stadtdirektor in Dortmund. Dennoch habe es keine schrecklichen Übergriffe von Wachleuten auf Asylbewerber gegeben. „Der Sicherheitsdienst war nie allein, und er war außerdem klaren Weisungen unterworfen. Er konnte nie als eine Art Heim-Polizei auftreten. Überhaupt war in Unna-Massen immer ein gemischtes Team im Einsatz: Vertreter des Landes, der Stadt, Rotes Kreuz, Malteser, Ehrenamtliche und Wachleute.“

Pogadl wirft NRW schwere Versäumnisse vor. In den Heimen gebe es zu wenig fachkundiges Personal, obwohl sich die Lage seit Monaten zuspitze und immer mehr Flüchtlinge nach NRW kommen. Außerdem sei es früher üblich gewesen, vor Ort an „Runden Tischen“ Hilfe für diese Menschen zu organisieren. Viele Ehrenamtliche aus Kirchen, Parteien und Vereinen hätten sich für die Asylbewerber engagiert.

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In einigen Einrichtungen gehen auch heute viele Ehrenamtliche ein und aus. Ein Beispiel ist das Aufnahmelager an der Lewacker Schule in Bochum. Die Bochumer Helfer geben den Flüchtlings-Kinder erste Deutsch-Lektionen, sie helfen bei Behördengängen, sie gehen einfach auf die Menschen zu.

Bochums Ex-Sozialdezernent Dieter Neukirchen: „Wir hatten 6000 Flüchtlinge, heute sind es 1200.“

Auch Dieter Neukirchen, Bochums ehemaliger Sozialdezernent, erinnert sich gut an die schwierigen 90er-Jahre, als Tausende Bürgerkriegsflüchtlinge aus Jugoslawien untergebracht und versorgt werden mussten. „Wir hatten 65 Einrichtungen in Bochum und 6000 Flüchtlinge. Heute sind es nur rund 1200.“ Dennoch wurden damals die Unterkünfte nicht von einem Privatunternehmen betrieben, sondern von der Stadt, mit der Unterstützung von Awo, Caritas und Kirchen. „Und immer war ein städtischer Bediensteter als Heimleiter vor Ort.“

Schwieriger als heute sei die Klientel nicht gewesen, findet Neukirchen. Sicherheitsdienste patrouillierten nur tageweise außerhalb der Heime zum Schutz der Bewohner vor möglichen Attacken von außen. „Die Sicherheitskräfte hatten aber nie Betreuungsfunktionen.“ Vorfälle wie Misshandlungen und Übergriffe durch das Personal habe es dennoch nicht gegeben.

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Zudem sei den Kommunen damals ein Großteil der Kosten vom Land erstattet worden, erinnert sich Neukirchen: „Es gab einen festgelegten Satz, bis zu 90 Prozent der Kosten kamen vom Land.“ Heute könnten die Städte nur mit etwa 20 Prozent rechnen.

Schon vor 20 Jahren waren Sicherheitsdienste in den Heimen tätig

Das Deutsche Rote Kreuz in Westfalen-Lippe erklärte gestern auf Nachfrage dieser Redaktion, es sei schon vor 20 Jahren absolut üblich gewesen, Wachleute in Flüchtlings-Heimen zu beschäftigen. „Das war zum Beispiel in den von uns geleiteten Unterkünften in Castrop-Rauxel und in Minden der Fall“, sagte DRK-Sprecherin Claudia Zebandt. „Ziel war es, in den Einrichtungen Streit und Gewalt vorzubeugen und darüber hinaus auch im Umfeld Sicherheit zu gewährleisten. Denn es gab damals zum Beispiel Drohungen durch Rechtsextreme.“