Hagen/Essen. Die Misshandlung von Flüchtlingen in einem Asylbewerberheim in Burbach haben Konsequenzen: Dem Sicherheitsdienst ist gekündigt worden, neue Standards sollen weitere Vorfälle verhindern. Ein Handyfoto zeigt, wie Wachleute einen Mann quälen und demütigen. Eine 15-köpfige Sonderkommission ermittelt.
Nach der Misshandlung von Flüchtlingen in der Notunterkunft in Burbach bei Siegen durch Wachleute haben das Land und der private Betreiber Konsequenzen gezogen. Dem Sicherheitsdienst sei gekündigt worden, teilte die Bezirksregierung Arnsberg mit, die in der Region für die Asylunterkünfte des Landes zuständig ist.
Eine Sprecherin des Betreibers der Aufnahmeeinrichtung, der über NRW hinaus Unterkünfte betreut, betonte am Sonntagabend im ZDF, es seien neue Standards verabschiedet worden, um solche Vorfälle künftig zu vermeiden. Die Bezirksregierung hat zur Auflage gemacht, dass nur noch geprüftes Sicherheitspersonal mit Führungszeugnis die Flüchtlinge schützen darf. Außerdem ist ein Mindestlohn zu zahlen.
Die Vorwürfe gegen die Wachleute waren am Wochenende bekannt geworden. Am Sonntag zeigten die Ermittler auf einer Pressekonferenz ein Handy-Foto, auf dem ein junger Algerier mit dem Bauch auf dem gefliesten Boden liegt. Seine Hände sind auf den Rücken gefesselt. Zwei Männer grinsen in die Kamera. Einer von ihnen hat seinen rechten Fuß in den Nacken des Flüchtlings gestellt.
"Bilder, die man sonst nur aus Guantanamo kennt"
Hagens Polizeipräsident Frank Richter ist entsetzt: "Das sind Bilder, die man sonst nur aus Guantanamo kennt. Mich machen diese Vorgänge sehr betroffen." Auch gibt es nach Angaben der Ermittler ein Video, das einen Flüchtling zeigt, der sich unter Androhung von Gewalt in Erbrochenens auf die Matratze legen soll. Es gebe Hinweise auf mehrere Körperverletzungsdelikte, sagte Richter weiter.
Auch in einem Flüchtlingsheim in Essen soll es nach einem Bericht des WDR-Magazins "Westpol" Attacken des Wachdienstes auf Asylbewerber gegeben haben. "Westpol" liegt nach eigenen Angaben ein ärztliches Attest eines Flüchtlings vor, das Verletzungen dokumentiert. Zudem gibt es Klagen über mangelnde Hygiene in der Einrichtung sowie über ungenügende Versorgung mit Nahrung. Die Polizei ermittelt auch in Essen. "Uns liegen drei Strafanzeigen wegen einfacher Körperverletzung vor", sagte ein Sprecher am Montag. Die Anzeigen stammten aus einem Heim, die Ermittlungen liefen.
Nach Auskunft der für die Flüchtlinge zuständigen Bezirksregierung in Arnsberg wird das Essener Heim nicht nur vom gleichen privaten Betreiber geführt wie die Unterkunft in Burbach im Siegerland. Dieser habe dort auch denselben Sicherheitsdienst engagiert.
Innenminister Jäger fordert zügige Aufklärung
NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) fordert eine zügige Aufklärung der Vorfälle: "In NRW gilt Null Toleranz bei fremdenfeindlichen Übergriffen. Wir dulden keine Gewalt gegen Asylsuchende. Wer Menschen in Not bedroht und schikaniert, muss hart bestraft werden."
Es wird gegen vier Männer ermittelt, zwei sind geständig. Die Wachleute sollen bereits wegen Körperverletzung, Verstößen gegen das Waffengesetz und Drogenhandel bei der Polizei bekannt sein. Die Bezirksregierung Arnsberg hat den Sicherheitsdienst von seinen Aufgaben entbunden.
Seit dem Wochenende werden Hunderte Bewohner der Notunterkunft befragt. Nach Angaben der Polizei gibt es Hinweise auf weitere Körperverletzungsdelikte, an denen zum Teil Mitarbeiter des Wachdienstes beteiligt gewesen sein könnten.
Privatunternehmen für sechs Flüchtlings-Unterkünfte zuständig
Die Einrichtung in Burbach sowie die Essener Einrichtung wird von dem Privatunternehmen European Homecare geführt, einem der größten Betreiber von Flüchtlingsunterkünften in Deutschland. Nach Angaben der Behörden ist das Unternehmen für insgesamt sechs Unterkünfte in NRW zuständig. In vier davon habe es den Sicherheitsdienst eingesetzt, sagte Arnsbergs Regierungspräsident Bollermann.
European Homecare gab sich überrascht. Die Vorwürfe aus Burbach seien dem Unternehmen "seit Freitagabend bekannt", sagt Sprecherin Renate Walkenhorst, aber "aus Essen kennen wir keine Vorwürfe". Essens Sozialdezernent Peter Renzel geht es genauso, dennoch will er am Montag Kontakt mit European Homecare aufnehmen und die Qualitätsstandards einfordern.
Auch Klagen aus Essener Notunterkunft
Im Essener Opti-Park, der als Notunterkunft vom Land genutzt wird, weil alle zentralen Ersteinrichtungen belegt sind, hatten bereits vor einigen Wochen Flüchtlinge darüber geklagt, kein Abendessen zu bekommen und hungern zu müssen. Damals erklärte European Homecare das mit einem Missverständnis, da es mittags warme Mahlzeiten gebe und gleichzeitig für abends Essenspäckchen verteilt würden.
Dem WDR antwortete Sprecherin Walkenhorst auf die Frage, ob die vorgeschriebenen Standards und der vorgegebene Personalschlüssel im Moment eingehalten würden: "Klares Nein. In dieser Notsituation können wir das nicht."
Wenige Polizeieinsätze nötig
Zehn Einsätze waren seit 4. Februar 2013 im Burbacher Asylbewerberheim nötig, berichtet Hagens Polizeipräsident Frank Richter. Nicht viel, 700 Menschen leben dort. Um kleinere Delikte ging es dabei, leichte Körperverletzung, nicht mehr. Seit Freitag aber ermittelt nun eine 15-köpfige Sonderkommission in der 15.000-Einwohner-Gemeinde im Siegerland.
Auslöser war das schockierende Handy-Foto, das einem Journalisten zugespielt wurde. Die Aufnahme muss zwischen dem 10. und 15. September entstanden sein. Ein offenbar nicht minder erschreckendes Video vom Frühjahr bekommt die Öffentlichkeit "aus ermittlungstaktischen Gründen" vorerst nicht zu sehen. "Da sitzt ein Mann auf einer mit Erbrochenem verschmutzten Matratze und wird gezwungen, sich hinzulegen", schildert der Siegener Oberstaatsanwalt Johannes Daheim. "Es ist entsetzlich, wenn man sich vorstellt, dass zu uns Leute kommen aus anderen Ländern, die dort schon Gewalt erlitten haben und hier Schutz suchen und dann so einer Situation ausgesetzt werden."
"Keine Anhaltspunkte für rechte Tatmotive"
Die Polizei reagiert schnell, macht die Beschuldigten namhaft, erwirkt Durchsuchungsbeschlüsse für die Wohnungen der Tatverdächtigen und stellt Schlagstöcke sicher. Einen ausländerfeindlichen Hintergrund sieht Daheim nicht: "Es gibt keine Anhaltspunkte für rechte Tatmotive." Möglicherweise seien die Männer überfordert gewesen oder einfach charakterlich ungeeignet für eine solche Aufgabe.
Vier Wachleute eines privaten Sicherheitsdienstes sind es, die für die Taten verantwortlich sein sollen, zwei haben Geständnisse abgelegt. Wie später durchsickert, waren sie bei der Polizei gut bekannt. Die Liste ihrer Delikte: Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz und Körperverletzung. Haftbefehle sind nicht erlassen worden. Warum? Daheim: "Es gibt keine Verdunkelung- und auch keine Fluchtgefahr." (mit dpa)