Essen. Können Autofahrer auch in Nordrhein-Westfalen künftig schon nach Alkoholfahrten mit 1,1 Promille zum „Idiotentest“ gebeten werden? Diese Grenze gilt zumindest schon in Baden-Württemberg. In NRW müssen Ersttäter bislang erst ab 1,6 Promille zum Test.
Bund und Länder streiten über ein strengeres Vorgehen der Verkehrsbehörden gegen Autofahrer, die mit Alkohol am Steuer auffallen. Nach WAZ-Informationen hat sich eine Bund/Länder-Arbeitsgruppe mit dem Vorschlag befasst, schon nach einer Alkoholfahrt mit 1,1 Promille die Rückgabe des entzogenen Führerscheins an das erfolgreiche Bestehen einer Medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) zu binden. Bisher gilt für Ersttäter die Untergrenze 1,6 Promille.
Hintergrund sind Verwaltungsgerichts-Urteile in Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern. Diese zwingen die örtlichen Führerscheinstellen, bei 1,1 Promille „Idiotentests“ zur Pflicht zu machen. Die Stuttgarter Regierung hat Behörden angewiesen, dem Urteil zu folgen. Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) rechnet mit mehr MPU-Tests. Damit gilt im Bundesgebiet zweierlei Recht. In NRW muss die Prüfung bei Ersttätern erst nach einer Trunkenheitsfahrt mit 1,6 Promille absolviert werden.
Fachkreise debattieren heftig
Offenbar neigen auch Bayern und Berlin zu schärferen Vorschriften. In der Arbeitsgruppe sind bisher nach Auskunft des Bundesverkehrsministeriums „keine gesetzgeberischen Änderungen“ abgesprochen worden. Das Vorgehen in Stuttgart, das auf zwei Urteilen aus 2012 und dem Februar 2014 (AZ 10 S 452/10 und 10 S 1748/13) fußt, hat aber in Fachkreisen heftige Debatten ausgelöst.
Michael Mertens, Vize-Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in NRW: „Schon bei 1,1 Promille grundsätzliche Alkoholprobleme zu unterstellen, die einen solchen schwerwiegenden Eingriff rechtfertigen, halte ich für gewagt“. Besser sei es, die geltende Ordnungswidrigkeits-Grenze von 0,5 auf 0,3 Promille zu senken. „Gute Erfahrung gibt es bei Fahranfängern“, sagt er.
Droht eine Verdreifachung der Tests?
Wie die GdP fordert der ADAC vor allem ein bundeseinheitliches Vorgehen. Eine neue MPU-Regelung müsse zudem von Experten „sorgfältig geprüft“ werden, sagt ADAC-Verkehrsjurist Markus Schäpe. Er rechnet mit einer „Verdoppelung oder Verdreifachung“ der MPU-Testfälle, sollte die Schwelle gesenkt werden. Die Dekra, die die Tests anbietet, glaubt, dass bei schädlichem Alkoholkonsum eine MPU bei 1,1 Promille Sinn macht.
Die Psychotests mit ihren ins Persönliche reichenden Fragen werden rund 100 000 Mal im Jahr angeordnet, in 50 000 Fällen nach Alkohol am Steuer. Die Durchfallquote liegt bei 40 Prozent.