Wuppertal. Die „Scharia-Polizei“alarmiert Behörden und schockiert Muslime. Salafistische Sittenwächter suchen radikalen Nachwuchs auf Wuppertals Straßen. Bürger fühlen sich belästigt und erstatten Anzeige. Die Polizei verstärkt ihre Kräfte. Muslime sagen: „Das ist nicht der Islam.“
„Hä?“ Erkan Bicer guckt ratlos. „Was für ´ne Polizei?“ Die Scharia, die islamistische Rechtsordnung, kennt er. Selbsternannte islamistische Sittenwächter nicht. „Scharia-Polizei? Echt? Solche Leute laufen hier rum?“, fragt der 25-jährige Wuppertaler irritiert. „Auf sowas haben wir gar keine Böcke.“ Fünf junge Leute um ihn herum nicken.
Freitagnachmittag: Wuppertal räkelt sich in der Spätsommersonne. Keine Spur mehr von dem Spuk der Nächte zuvor. Da waren Trüppchen radikaler Islamisten durchs Stadtzentrum marschiert. Bärtige Männer mit orangefarbenen Warnwesten, hintendrauf der Aufdruck: „Shariah Police“ – Scharia-Polizei.
Das Aufgebot wirkte auf den ersten Blick wie eine amtliche Patrouille. Doch die Botschaft war radikal. Die Uniformierten hielten junge Leute auf der Straße an und nahmen sie ins Gebet. Sie seien auf dem falschen Weg, sollten nach strengen Verhaltensregeln leben: kein Alkohol, kein Glücksspiel, keine Musik, keine Konzertbesuche, keine Pornografie, keine Prostitution, keine Drogen.
Ein Hassprediger als Wortführer
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Als Wortführer der selbsternannten Sittenpolizei ist ein Mann unterwegs, gegen den der Generalbundesanwalt wegen Terrorismusverdachts ermittelt hat: Sven Lau, Ex-Chef des aufgelösten Salafisten-Vereins „Einladung zum Paradies“. Der radikale Islamist und Hassprediger, seit Jahren im Visier von Polizei und Verfassungsschutz, ködert extremistischen Nachwuchs: „Lass die Finger vom falschen Weg und komm in die Moschee.“ Dazu gibt es Aufkleber mit der Aufschrift „Shariah Controlled Zone“ – Scharia-kontrollierte Zone. Ein mehrminütiges Propaganda-Video im Internet dokumentiert die Anwerbungsversuche der Salafisten.
Polizei rät: „Wählen Sie die 110“
Die Wuppertaler Polizei reagiert schnell. Noch in der Nacht stoppt sie eine Gruppe der islamistischen Sittenwächter. Strafverfahren werden eingeleitet, die Polizeipräsenz in der Innenstadt verstärkt. „Wählen Sie 110, wenn Sie diesen Leuten begegnen“, sagt Polizeipräsidentin Birgitta Radermacher.
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Freitagsgebet in der Elberfelder DiTiB-Moschee: Kopfschütteln über die radikale Propaganda. „Wir distanzieren uns davon“, sagt Mustafa Tenizer, Vorsitzender des Moscheevereins, und verspricht: „Die fassen hier keinen Fuß.“ Das glaubt auch der DiTiB-Landesvorsitzende Ersin Özcan. „Die Außenwirkung einer solchen Aktion ist schädlich“, sagt er. „Viele stecken alle Muslime in eine Schublade.“ Doch in Wuppertal sei die „Gemeinde stabil“ gegen Unterwanderung. „Das ist nicht der Islam“, sagt Özcan. Marcel Jamel Braun nickt. „Die verdrehen den Koran, um Leute umzubringen.“
Zivile Salafisten-Werbung in Bochum
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Der Staatsanwaltschaft sind die Hände gebunden. „Das bloße Empfehlen religiöser Regeln ist nicht strafbar“, sagt Wolf-Tilmann Baumert. Doch gegen einige der elf selbsternannten Sittenwächter wurde Strafanzeige erstattet – von Leuten, die sie bekehren wollten. Weil ihre Gesichter ungefragt veröffentlicht wurden, zeigten sie die Salafisten an: wegen Verstoßes gegen das Recht am eigenen Bild.
Eine Umfrage der WAZ bei Polizeibehörden an Rhein und Ruhr ergab: Die uniformierte „Scharia-Polizei“ ist ein Wuppertaler Phänomen. Doch: In Bochum sind radikal-islamistische Anwerber in Zivil unterwegs. „Über Fälle, dass Personen auf der Straße durch Salafisten mit dem Ziel der Missionierung angesprochen worden sind, wurden wir in der Vergangenheit mehrfach informiert“, sagte ein Polizeisprecher. Man sei wachsam, „insbesondere wenn Kinder und Jugendliche missioniert werden sollen“.