Berlin.

Der Termin kam überraschend, die Entscheidung nicht. Die große Zeit von Klaus Wowereit war lange vorbei, ehe er gestern seinen Rücktritt als Regierender Bürgermeister Berlins zum 11. Dezember bekannt gab – nach 13 Jahren Amtszeit. Allzu tief wollte sich der 60-Jährige nicht in die Seele blicken lassen, nur bei seiner Liebeserklärung an Berlin stiegen ihm die Tränen in die Augen. „Ich gehe freiwillig“, versicherte Wowereit, ließ aber keinen Zweifel daran, dass er jetzt geht, weil die Debatte um seine Nachfolge in der SPD längst und unwiderruflich im Gang ist.

Eigentlich hatte er erst Ende 2015 entscheiden wollen, ob er im Herbst 2016 noch einmal antritt – doch so lange wollten die Spitzengenossen der Berliner SPD nicht mehr warten, weil sie fürchten, mit Wowereit sei sowieso keine Wahl mehr zu gewinnen.

„Berlin ist arm, aber sexy“

Was für ein Abstieg: vom lässig-coolen Politstar zum Buhmann, dem die Wähler nach allen Umfragen nicht mehr trauen. Aber davor stand ein beachtlicher Aufstieg: Wowereit, in Berlin als unehelicher Sohn einer Putzfrau geboren, hat sich aus kleinsten Verhältnissen hochgearbeitet. Nach dem Jurastudium machte er zügig Karriere in der Berliner SPD. Deutschlandweit wurde er bekannt mit seinem heute legendären Satz: „Ich bin schwul, und das ist auch gut so.“ Da bewarb er sich erstmals und erfolgreich als Regierender Bürgermeister, mitten im Wahlkampf 2001 wagte er als erster deutscher Spitzenpolitiker sein Outing.

Nicht weniger bekannt ist seine zwei Jahre späte geprägte Beschreibung der Stadt: „Berlin ist arm, aber sexy“. Das war die Zeit, als der Bürgermeister wegen seiner ausschweifenden Abendtermine noch freundlich „Regierender Partymeister“ genannt wurde und der beliebteste Landespolitiker Deutschlands war. Damals bewältige er den Bankenskandal, sanierte den Haushalt und trug bei zum coolen Image der Hauptstadt. Er verstand es, nacheinander mit den Grünen, der Linken und heute mit der CDU zu regieren.

Der Tag aber, an dem sein Stern zu sinken begann, war der 8. Mai 2012: Damals sagte Wowereit die Eröffnung des neuen Großflughafens Berlin-Brandenburg BER ab – nur knapp vier Wochen vor dem geplanten Start des Airports, den der Bürgermeister doch als das wichtigste Projekt seiner Amtszeit bezeichnet hatte. Als BER-Aufsichtsratschef bekam Wowereit die Probleme auch danach nicht mehr in den Griff, fünfmal wurde die Eröffnung verschoben, der Flughafen wurde bundesweit zur Lachnummer – und Wowereit gleich mit. Seine anfangs geschätzte Lässigkeit galt nun als Schludrigkeit.

„Eine herbe Niederlage“ nannte er gestern das Flughafen-Debakel, und mit einem Anflug von Humor fügte er hinzu, er wünsche dem Airport „eine baldige Fertigstellung“. Das Debakel hat ihn zu einem der unbeliebtesten Politiker Berlins gemacht, und einmal auf der schiefen Bahn, gelang Wowereit nur noch wenig – seine Pläne für die Nutzung des ehemaligen Flughafengeländes Tempelhof stoppten die Wähler per Bürgerentscheid, Baupläne für eine Landesbibliothek wurden verspottet. Kann so einer die Berliner Olympia-Bewerbung wuppen? Immer mehr verstärkte sich der Eindruck, Wowereit habe die Lust verloren, lasse sich treiben. 2013 gab er, der einst als Kanzlerkandidat gehandelt wurde, frustriert sein Amt als Vizechef der Bundes-SPD auf.

Keine Unterstützer mehr

In der Sommerpause tauchte an der Parteibasis plötzlich die Forderung nach seinem schnellen Rückzug auf – ohne dass die SPD-Führung Wowereit geschlossen zur Seite gesprungen wäre. Immerhin, nach seiner Rücktrittsankündigung reagierten gestern auch politische Konkurrenten mit Respekt.