Berlin.

Thomas de Maizière (CDU) hat sich geirrt. Als Anfang Juli ein Doppelagent aufflog, befand der Innenminister, die verratenen Informationen seien „lächerlich“. Beim Bundesnachrichtendienst (BND) hat man den Schaden schon damals anders beurteilt. Die Ermittler hatten beim Spion einen USB-Stick gefunden, dem man entnehmen konnte, welche Unterlagen er seinen US-Auftraggebern übergeben hatte. Die insgesamt 218 Papiere waren für die Amerikaner aufschlussreich. Sie erfuhren, dass auch der BND Nato-Partner belauscht und zwei US-Außenminister abgehört hatte.

Nachdem der Informant enttarnt war und die USA für ihn nichts mehr tun konnten, war es eine Frage der Zeit, bis das kompromittierende Wissen bekannt werden würde. Beim BND tickte eine Zeitbombe. An diesem Wochenende ging sie hoch. Erst berichtete die „Süddeutsche Zeitung“ über die Praktiken, dann verriet der „Spiegel“, wer der abgehörte (Nato-)Partner ist: die Türkei.

Man erinnert sich an die Empörung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), als sie vom Verdacht erfuhr, dass der US-Geheimdienst NSA ihre Handy-Kommunikation abgehört haben soll: „Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht.“ Das wirkt im Lichte der neuen Erkenntnisse bigott.

In Washington hieß es im Laufe der NSA-Affäre oft, dass jeder Staat abhört. Die Amerikaner wollten zur Tagesordnung übergehen. Es ist keine Frage, dass die Indiskretion ihnen nutzt. Der CSU-Politiker Uhl vermutet eine Retourkutsche. „Es war zu erwarten.“

Der BND verwies auf die Bundesregierung - und die ihrerseits auf den Geheimdienst. Die Linke forderte eine schnelle Aufklärung, die Grünen witterten einen „Skandal“. So weit, so rollentreu. Flagge zeigte Patrick Sensburg, der den NSA-Untersuchungsausschuss leitet. Er sagte der dpa, „wir nehmen keine ausländischen Politiker gezielt in die nachrichtendienstlichen Arbeiten hinein“. Woher er das weiß, für wen er sprach und wer mit „wir“ gemeint ist, ließ der CDU-Politiker offen. Eine Kommunikationsstrategie der Großen Koalition ist nicht zu erkennen.

Alle Vorwürfe sind erklärbar. Eine Stärke des BND ist die Funküberwachung in Krisengebieten. Wer im Nahen und Mittleren Osten ein Satelliten-Telefon benutzt und sein Gespräch nicht verschlüsselt, muss damit rechnen, dass er im BND-Netz hängen bleibt, meist gezielt, mitunter unbeabsichtigt, wie ein Beifang in der Fischerei. Hillary Clinton erwischte es 2012, ein Jahr später John Kerry. Beide US- Außenminister waren im Nahen Osten unterwegs. Die Abschriften ihrer Gespräche sollten gelöscht werden. Indes, das „Murphy Prinzip“ kam zum Zug. Das besagt, dass alles, was schief gehen kann, eines Tage auch schief gegen wird. Mit der Schredderaktion wurde Markus R. beauftragt, der Doppelspion. Man machte - ahnungslos - den Bock zum Gärtner. Der verkaufte sein Wissen an die Amerikaner, und die nutzten es offenbar als Druckmittel, um die Deutschen in der NSA-Affäre abzuwimmeln. Habt euch nicht so!

Ein versierter BND-Kontrolleur wie Hans-Christian Ströbele mag den Beifang indes nicht mit den NSA-Praktiken gleichstellen. „Da gibt’s einen substanziellen Unterschied, ob man ausländische, befreundete Regierungschefs gezielt ausspäht, und zwar über Jahre, möglicherweise ein ganzes Jahrzehnt lang“, sagte der Grüne.

Das Bundeskabinett entscheidet

Nicht direkt auf den BND, sondern auf die Bundesregierung geht das Abhören der Türkei zurück. Über welche Themen und Länder der Dienst Informationen beschaffen soll, das definiert das Bundeskabinett. Seit 2009 gehört die Türkei zum „Auftragsprofil“. Man kann die Praxis rechtfertigen: Mit der geografischen Nähe zu Irak und Syrien, mit der Kurdenproblematik, der Schleuser- und Drogenkriminalität und damit, dass die Türkei zur Drehscheibe für Dschihad-Kämpfer geworden ist.

Mit dem türkischen Geheimdienst tauscht sich der BND zwar aus. Aber allein darauf verlassen, mag sich Sensburg nicht. Gerade mit Blick auf das Grenzgebiet zum Irak sagt er, „da würde ich gern auf die eigenen nachrichtendienstlichen Erkenntnisse zurückgreifen“. Die Regierung in Ankara hat aber wohl kaum gewusst, dass ihr Land vom BND ausgespäht wird. Gut möglich, dass sie sich bald in Berlin melden wird. Ausspähen unter Freunde....