Erbil. .

Es ist eine lebensbedrohliche Situation. Bei Tagestemperaturen von 45 Grad Celsius harren Zehntausende Jesiden in einem nordirakischen Gebirge aus und warten auf Hilfe. Vor zehn Tagen begann ihre Odyssee, als die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) Dörfer und Städte in der Region Sindschar stürmte, wo Hunderttausende Anhänger der Religionsgemeinschaft leben, die von den Dschihadisten verteufelt wird. Während in den vergangenen Tagen etwa 50 000 Glaubensbrüder und -schwestern von kurdischen Kämpfern in Sicherheit gebracht wurden, warten Alte, Kranke und Kinder – also all jene, die zu schwach für den gefährlichen Weg sind – auf Hilfe.

Syrien ist sicherer

Lebensmittel, Trinkwasser und andere Güter, die über der Region abgeworfen werden, sind zu wenig. Denn viele der Flüchtlinge liegen inzwischen im Sterben. „Es ist keine Frage von Tagen mehr, vielmehr von Stunden“, sagt Holger Geisler, der Sprecher des Zentralrats der Jesiden in Deutschland. „Sie sterben an Hunger und Durst oder weil sie anfangen, Blätter oder Baumrinde zu essen und dadurch vergiftet werden oder ersticken.“

Nach Einschätzung des UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sind im Sindschar-Gebirge noch 20 000 bis 30 000 Menschen ohne Wasser und Nahrung eingeschlossen. Die Region ist von IS-Extremisten umstellt. Die Flüchtlinge besäßen fast nichts mehr, sagt UNHCR-Sprecher Ned Colt. Die Hitze mache ihnen zu schaffen, viele erlitten einen Hitzschlag. In den kargen Bergen gebe es nur wenig Bäume, unter denen sie Schatten finden könnten. Die Hilfsgüter, die Amerikaner, Briten und die irakische Armee aus der Luft abwerfen, erreichen längst nicht alle. Sie sind weit verstreut in einem Gebiet, das Dutzende Kilometer umfasst.

In den vergangenen drei Tagen konnten immerhin Zehntausende Flüchtlinge über einen von kurdischen Milizen freigekämpften Schutzkorridor in Sicherheit gebracht werden. Viele flohen in Richtung Syrien. „Tatsächlich sind Teile Syriens derzeit weniger gefährlich als der Irak“, sagt Colt. Rund 15 000 Menschen fanden in Nordsyrien Zuflucht. Die meisten kamen in Kurdistan unter. Die Autonomieregion im Nordirak stehe angesichts der knapp einer Million Flüchtlinge unter „enormem Druck“.

Den Hilfsorganisationen machen vor allem die häufigen Ortswechsel der Menschen zu schaffen. In der letzten Woche gab es in Erbil noch ein Übergangslager. Als sich dort Gerüchte verbreiteten, die IS-Miliz rücke näher, seien die Menschen erneut geflohen.