Moskau. Kreml-Chef Wladimir Putin macht Fehler. Etwa bei einem bizarren TV-Auftritt. Jetzt predigt er mal wieder Frieden, weil das Ausland ihm nach dem Abschuss des Malaysian-Airways-Flugzeuges unter Druck setzt. Doch sein Ruf als verlässlicher Gesprächspartner und berechenbarer Pragmatiker ist ruiniert.

Der Präsident gönnte sich keine Ruhe: „Niemand hat das Recht, diese Tragödie für die Erlangung eigennütziger politischer Ziele zu benutzen“, diktierte Wladimir Putin in der Nacht zu Montag auf seinem Landsitz Nowo-Ogorjowa in die Fernsehkameras. Russland werde alles tun, damit der kriegerische Konflikt in der Ostukraine in eine Phase der Diskussionen am Verhandlungstisch übergehe, versicherte der Kreml-Chef.

Wladimir Putin predigt Frieden – mal wieder. Wenn auch nicht unbedingt aus eigenem Antrieb. Eine halbe Stunde zuvor hatte er seinen französischen Kollegen François Hollande am Telefon, davor den Niederländer Mark Rutte, den Australier Toni Abbot, den Briten David Cameron, Angela Merkel in Berlin. US-Präsident Barack Obama rief erst gar nicht an.

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Aber auch so besteht kein Zweifel: Putin steht nach dem Abschuss des malaysischen Passagierjets enorm unter Druck aus dem Ausland. „Der russische Präsident muss seine Ansprachen jetzt nachts aufzuzeichnen, um dem US-Fernsehpublikum in den Morgennachrichten guten Willen zu zeigen“, spottete der Kiewer Publizist Witali Portnikow.

Triumphale Olympische Spiele schon vergessen

Noch vor kurzem durfte der Präsident sich als „Super-Putin“ fühlen: Im Februar triumphale Olympische Spiele, im März Annexion der Krim, im April pro-russische Volksaufstände im Osten der widerborstigen Rest-Ukraine – laut einer Gallup-Umfrage unterstützen ihn 83 Prozent der Russen – so viele wie lange nicht. Angesichts zaghafter westlicher Alibi-Sanktionen mochte Putin selbst entscheiden, russische „Friedenstruppen“ sogar offiziell in der Ukraine einmarschieren zu lassen, um dort den moskautreuen Staat „Neurussland“ zu installieren. „Putin liebt Situationen, in denen er volle Entscheidungsfreiheit hat“, sagt der Moskauer Politologe Stanislaw Belkowski. „Er liebt es, impulsiv und taktisch zu entscheiden.“

Aber dann: Über dem Kampfgebiet im Donbass wurde ein malaysisches Passagierflugzeug abgeschossen, 298 Tote. Und die Indizien, die Kiew und Washington dafür vorlegten, dass Rebellen oder gar russische Profis den Flieger mit einer aus Russland stammenden Rakete vernichtet hatten, wirken deutlich überzeugender als Moskaus Anschuldigungen an die Adresse der Regierung in Kiew.

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Nun fordert der Brite Cameron massive Sanktionen gegen Russlands Rüstungsindustrie – und wenn nötig gegen Putin persönlich. Auch russische Kommentatoren erinnern daran, wer mit massiver Waffenhilfe für die Rebellen die Rahmenbedingungen für die Malaysian-Airlines-Katastrophe erst schuf. „Die Verantwortung für das Geschehen in der Ostukraine und den Abschuss der Boeing im Besonderen, trägt ein Mensch“, bloggt der Schriftsteller Arkadi Babtschenko: „Wladimir Putin.“

Den eigenen Ruf ruiniert

Putins nächtlicher TV-Auftritt wirkte streckenweise bizarr: So beteuerte er, niemand hätte die Boeing abgeschossen, wäre die Waffenruhe im Donbass-Gebiet am 28. Juni nicht beendet worden – obwohl diese „Waffenruhe“ im Kampfgebiet von allen verspottet wurde; Rebellen wie Regierungstruppen schossen munter weiter.

Zudem versicherte Putin der Weltöffentlichkeit, es gäbe in der Ostukraine keine „russischen Instrukteure oder Streitkräfte“ – während am gleichen Tag russische Kommandeure dort eifrig Interviews gaben.

Wladimir Putin hat nicht nur seinen Ruf als verlässlicher Gesprächspartner ruiniert, sondern auch als berechenbarer Pragmatiker. Und laut dem Politologen Belkowski ist das „System Putin“ jetzt auf ungute Weise ernst zu nehmen.