Moskau/Kiew/Washington/New York. Für viele Angehörige ist der Umgang mit den Toten des MH17-Absturzes unerträglich. Jetzt übernehmen allmählich internationale Experten die Arbeit. Und der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen stimmt für eine unabhängige Untersuchung des Unglücks.
Nach dem Absturz von Flug MH17 in der Ostukraine geht Russland erstmals mit eigenen Ermittlungsergebnissen in die Offensive. In Moskau präsentierte der russische Generalstab am Montag Satellitenaufnahmen und Karten mit Flugbahnzeichnungen vom Absturztag. Mit der Stimme Russlands verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York dann am Abend eine Resolution, mit der eine unabhängige Untersuchung des Unglücks gefordert wird. Die Separatisten hatten zuvor schon nach heftiger Kritik am Umgang mit Absturzopfern eingelenkt und die Arbeit der internationalen Experten vor Ort erleichtert.
Dem ursprünglich von Australien im Sicherheitsrat eingebrachten Entwurf hatten sich schon vor der Abstimmung zahlreiche weitere Länder angeschlossen. Russland hatte zunächst einen eigenen Resolutionsentwurf eingebracht, dann aber einer gemeinsam überarbeiteten Version des australischen Entwurfs zugestimmt. Das Papier fordert eine "umfassende, tiefgreifende und unabhängige Untersuchung" des Absturzes von Flug MH17, bei der die Internationale Zivilluftfahrtorganisation ICAO eine "zentrale Rolle" spielen soll. Zudem fordert es sofortigen ungehinderten Zugang für die Experten zur Unglücksstelle.
Russisches Militär fordert Auskunft von Kiew über Kampfjet
Das russische Militär forderte die Ukraine auf, Auskunft über einen Kampfjet zu geben, der sich der Unglücksmaschine genähert haben soll. Kiew müsse auch die Gründe für die Stationierung des Flugabwehrsystems "Buk" im Separatistengebiet erklären, da die Aufständischen nicht über Flugzeuge verfügten. Nach Angaben des russischen Militärs näherte sich ein Abfangjäger vom Typ Suchoi-25 der Malaysia-Airlines-Boeing am Donnerstag bis auf fünf Kilometer. Generalleutnant Andrej Kartopolow vom russischen Generalstab rief die Amerikaner auf, eigenes Kartenmaterial vom Absturztag zu veröffentlichen.
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Die USA verdächtigen die Separatisten, die Zivilmaschine mit 298 Menschen an Bord mit einer Boden-Luft-Rakete abgeschossen haben. Zuvor hatte die Ukraine behauptet, umfassende Beweise - darunter Satellitenaufnahmen - dafür zu haben, dass die prorussischen Kräfte mit einem "Buk"-System auf die Boeing 777-200 geschossen hätten.
Suche nach Leichen im Trümmerfeld beendet
Ukrainische Helfer und Freiwillige beendeten derweil die Suche nach Leichen in dem Trümmerfeld, das in Separatistengebiet liegt. Wie Vizeregierungschef Wladimir Groisman in Kiew sagte, wurden in dem auf 50 Quadratkilometer erweiterten Suchgebiet 282 Leichen sowie 87 Leichenteile der übrigen 16 Todesopfer gefunden. Die sterblichen Überreste von mindestens 251 Opfern seien in Eisenbahn-Kühlwaggons gebracht worden. Der Zug startete am Montagabend von der Ortschaft Tores ins rund 300 Kilometer entfernte Charkow. Dort warte eine internationale Gruppe von 31 Experten zur Identifizierung der Opfer, unter anderem aus den Niederlanden und Deutschland, sagte Groisman.
Die Niederlande wollen die Opfer so schnell wie möglich außer Landes bringen. "Die Identifizierung geht in den Niederlanden viel schneller", sagte Ministerpräsident Mark Rutte in Den Haag. Auf dem Flugplatz von Charkow steht eine Hercules-Maschine der niederländischen Streitkräfte bereit.
Beobachter befürchten, dass Absturzursache nicht mehr exakt ermittelt werden kann
In Charkow verschafften sich ausländische Luftfahrtexperten bereits anhand von Fotos einen Überblick über die Absturzstelle sowie die Wrackteile bei Grabowo. Präsident Petro Poroschenko befahl der Armee, die Kampfhandlungen in einem Radius von 40 Kilometern um den Absturzort unverzüglich einzustellen.
Beobachter befürchten, dass wegen der tagelangen Behinderungen durch die Separatisten und Eingriffen in das Trümmerfeld eine exakte Ermittlung der Absturzursache kaum mehr möglich ist. Angehörige klagen über mangelnden Respekt vor den Toten. Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier kritisierte die Separatisten am Absturzort scharf. "Das ist ein Verhalten jenseits von Zivilisation, das wir dort gegenwärtig erleben."
US-Präsident Barack Obama rief seinen russischen Kollegen Wladimir Putin dazu auf, die Aufständischen davon abzuhalten, die Untersuchungen weiter zu behindern. "Wir müssen sicherstellen, dass die Wahrheit herauskommt." Die Experten müssten ungehindert arbeiten können, doch die von Russland unterstützten Separatisten würden Beweise entfernen. "Was genau wollen sie verbergen?", fragte Obama.
Separatisten wollen Flugdatenschreiber an Vertreter Malaysias übergeben haben
Der Separatistenanführer Andrej Purgin wies Vorwürfe zurück, moskautreue Kräfte hätten Arbeiten behindert. Die militanten Gruppen würden lediglich die "Rechtmäßigkeit" der Ermittlungen überwachen. Die Separatisten übergaben nach eigener Darstellung die aufgefundenen Flugdatenschreiber und den Stimmenrekorder der Maschine am Abend in Donezk an Vertreter der malayischen Regierung.
Die moskautreuen Kräfte kämpfen für die Abspaltung von der Ukraine. Die russisch geprägte Region Donbass erkennt die proeuropäische Führung in Kiew nicht an. Bei den Kämpfen starben bislang Hunderte Menschen.
EU-Außenminister beraten am Dienstag über Ukraine-Krise und Absturz
Die Außenminister der Europäischen Union kommen am Dienstag in Brüssel zusammen, um über die Ukraine-Krise und Konsequenzen aus dem Absturz zu beraten. Der Westen wirft Russland vor, schützend die Hand über die Separatisten zu halten und etwa Waffenlieferungen an diese nicht zu unterbinden. Putin wies in einer in Moskau veröffentlichten Videobotschaft eine Verantwortung Russlands für den Boeing-Absturz zurück und gab der Ukraine die Schuld dafür.
In einem Interview des Senders CNN stufte der ukrainische Präsident Poroschenko das Verhalten der Aufständischen im Osten des Landes als "Bedrohung für die globale Sicherheit" ein. Allerdings müsse sich Russland entscheiden, ob es weiterhin die Separatisten unterstützen oder sich "an die Seite der zivilisierten Welt" stellen wolle. (dpa)