Tel Aviv/Gaza. .
Auf beiden Seiten leidet die Zivilbevölkerung unter dem Krieg rund um Gaza. In Tel Aviv, Jerusalem und dem Süden Israels heulen rund um die Uhr Sirenen auf, Menschen rennen in Bunker oder Schutzräume in ihren Wohnungen. Die Menschen in Gaza können das nicht. „Für uns gibt es keine Vorwarnzeit“, sagt Raji Sourani aus Gaza-Stadt. „Wir erfahren von Luftangriffen durch keine Sirene, sondern Explosionen.“ Seit Tagen schläft der palästinensische Menschenrechtler nicht mehr: „Dauernd donnern hier die Explosionen, dass die Fensterscheiben zittern. Es rüttelt an den Nerven, weil man nie weiß, wo die nächste Bombe einschlagen wird.“
Dabei sind keine Direkttreffer nötig, um Schaden anzurichten: „Die meisten Verletzten, die ich kenne, wurden von Schrapnell oder Glassplittern getroffen“, sagt Sourani. Mehrere dutzend Palästinenser sind seit Beginn der Luftangriffe getötet worden. Auch Wohnhäuser stehen auf der Zielliste der israelischen Luftwaffe, die den Gaza-Streifen seit drei Tagen bombardiert. Doch bei ihren Angriffen versucht die Armee nach eigenen Angaben, Zivilisten zu schonen, indem sie sie vor Angriffen per SMS oder Anruf warnt und eine leere Rakete aufs Haus schießt. „Anklopfen“ nennt sie das. Das Innenministerium der Hamas hingegen forderte die Bevölkerung am Donnerstag auf, „den Anrufen der Armee nicht Folge zu leisten und in den Häusern zu bleiben.“
Es ist selten, dass Israelis und Palästinenser einen Tathergang identisch beschreiben. Doch über die Umstände des Unglücks, das die Familie Kaware in Khan Younes ereilte, sind sich beide Seiten einig. „Es begann mit einem Telefonanruf“, berichtet ein offizielles Kommuniqué der Palästinensischen Autonomiebehörde in Einstimmung mit Armeeberichten. Ein Soldat warnte: „Wir werden euer Haus bombardieren. Ihr müsst es sofort räumen.“ Niemand im Haus von Odeh Karawe war überrascht: Er ist ein hochrangiger Kommandant der Hamas. Alle verließen das Gebäude. Kurz darauf schoss eine Drohne eine leere Rakete aufs Dach.
Keine Warnung bei gezielter Tötung
Was folgte, war unerwartet. „Nachbarn stürmten ins Haus, um ein menschliches Schutzschild zu formen“, berichtete Muhammad Karawe später. „Manche liefen aufs Dach, um durch ihre Präsenz dort den Angriff abzuwenden, andere waren im Treppenhaus.“ Aber es war zu spät: „Der Pilot hatte seine Rakete bereits abgefeuert“, sagte ein israelischer Offizier. Acht Menschen starben.
Die Tragödie im Haus der Karawes demonstriert die Komplexität dieses Krieges. Israel bombardiert Häuser von Hamas-Führern aus zwei Gründen. Als Strafe: „Jedem, der Raketen auf Israel abschießt, muss klar sein, dass er dafür persönlich einen Preis zahlen wird. Wenn die Hamas-Kommandeure aus ihren Verstecken auftauchen, werden sie kein zuhause mehr haben“, so ein israelischer Offizier. Und als Prävention: „Die Häuser der Offiziere dienen oft als Waffendepots“, so ein Armeesprecher.
Bei gezielten Tötungen von Hamas-Führern gibt es keine Warnung. Und oft irrt sich die Armee, wie offenbar beim Angriff auf ein Strandcafé in Khan Younes am Mittwochabend. Palästinenser schauten sich hier das WM-Spiel Niederlande gegen Argentinien an, als eine Rakete einschlug und neun Menschen tötete. Ziel der Aktion soll das Haus eines Hamas-Kommandanten gewesen sein, so die Armee.