Berlin. . Politiker suchen oft die Nähe zu den siegreichen Lieblingen der Nation. Als Mehmet Scholl bei der EM 1996 gefragt wurde, wie es war, als Bundeskanzler Kohl in die Kabine kam, sagte er nur: eng. Das Verhältnis zu Angela Merkel gilt aber als beiderseitig entspannt. Am Sonntag fliegt sie zum Finale.
Das Spiel hat sie natürlich gesehen, trotz Jetlags. Nachmittags kehrte Angela Merkel aus China zurück, am Abend verfolgte sie vor dem Fernseher das WM-Halbfinale. Es gibt zum Sieg der deutschen Mannschaft gegen Brasilien keine zwei Meinungen. Wie alle Welt hielt sie es für ein sehr gutes Spiel, das „schon fast den Namen ,historisch’ verdient“.
Auch die Frage, wer am Sonntag nach Rio de Janeiro fliegt, Bundespräsident oder Kanzlerin, wurde am Dienstag schnell geklärt: Beide. Merkel und Joachim Gauck. Die Frage ist nur, wer sonst noch mit von der Partie sein will. Der für Sport zuständige Innenminister? Der Bundestagspräsident? Partei- und Fraktionschefs? Die Opposition?
Zum letzten Finale der DFB-Elf, 2002 in Yokohama, sind viele Würdenträger aus Berlin angereist, und der damalige Kanzler Gerhard Schröder (SPD) stieß – aus Kanada kommend – in Japan dazu. Merkel war bereits zum Auftaktspiel der Deutschen in Brasilien, ohne dass jemand daran Anstoß nahm. Die Beziehung zwischen Politik und Fußball war nicht immer so eng.
„Unfähig zu grinsen“
Erst seit den 70er-Jahren suchen die Politiker die Nähe, ab 1974 robbten sie sich langsam heran. Helmut Schmidt blieb 1982 noch in seinem Revier, auf der Ehrentribüne. Vier Jahre später brach sein Nachfolger Helmut Kohl ins Allerheiligste ein: in die Kabine.
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In seinem Buch "Anpfiff" hielt der damalige Torwart Toni Schumacher den Moment in Mexiko-City fest: „Unfähig zu lächeln, grinste er, gratulierte uns rein mechanisch.“ Kann sei, dass seine Erinnerung getrübt war, weil die Stimmung ohnehin im Eimer war. Sie hatten gegen Argentinien verloren.
Unlängst tauchte ein Amateurfilm wieder auf, den der Torwarttrainer Sepp Maier 1990 nach dem diesmal gewonnen Finale aufnahm, und auf dem wieder Kohl durchs Bild tapste. Dass der sich für den Geschmack vieler Kicker zu sehr aufdrängte, ist offensichtlich. Unvergessen ist die Antwort von Mehmet Scholl bei der EM 1996 auf die Frage, wie es war mit Kohl in der Kabine. Scholl: „Eng“.
Merkel kommt besser an
Merkel kommt besser an. Auch weil sie nicht nur dann auftaucht, wenn der Glanz eines Triumphes auf sie abfärben soll. Sie kommt zu vielen Spielen, sie hält auch zwischen den Turnieren den Kontakt, lud die Spieler auch mal zum Essen ein.
Sie hat eine unaufdringliche Art, die gut ankommt, wie beim Viertelfinale 2010, als sie sich aus der Eiswürfel-Wanne eine Flasche Bier nahm und mit den „Jungs“ anstieß. Der Umgang ist auf beiden Seiten unverkrampft.
Schweinsteiger muss noch Basketball gucken
Merkels früherer Sprecher Christoph Steegmans erzählte einmal, wie der Spieler Bastian Schweinsteiger bei einem Essen unmittelbar nach dem Dessert aufstand und den Raum verließ. Merkel: „Warum müssen Sie schon gehen.“ Schweinsteiger: „Ich muss noch Basketball gucken“. Das fand Merkel, so Steegmans, „toll“.
Fußball habe ihr stets Spaß gemacht, beteuerte Merkel. Seit 2006 hat sie einige Mal bereitwillig darüber Auskunft gegeben. Seither wissen wir, dass sie 1974 im Leipziger Zentralstadion die Partie DDR gegen England sah, die EM 1996 in einer Kneipe in Bonn verfolgte und 2002 ihren Mann im Wochenendhaus ließ, um im Dorf Fußball gucken zu gehen. Ihr Mann war dafür nicht zu haben.
Gauck sieht Sport politisch
Dass mit dem Finaleinzug nun der Bundespräsident an der Reihe ist, rein protokollarisch schon, steht außer Frage. Er zelebriert sein Verhältnis zum Lieblingssport der Deutschen nicht so wie Merkel. Er ist weniger Fan. Aber er muss sich auch nicht überwinden. Es macht ihm sichtlich Spaß, wenn er jedes Jahr im Mai den DFB-Pokal überreichen darf. Gauck geht an den Sport politischer ran. Die EM in der Ukraine hat er 2012 wegen der Inhaftierung der kranken Oppositionsführerin Julia Timoschenko boykottiert.
Er nutzt den Fußball, um Botschaften zu transportieren. Zum Beispiel hat er vor der WM Kapitän Philipp Lahm für sein soziales Engagement gelobt, weil er seine Popularität nutze, um „dem Kampf gegen Intoleranz ein Gesicht zu geben“. In die Kategorie „politisch korrekt“ fällt auch, dass Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) nach dem 7:1 gegen Brasilien sogleich dem Verlierer twitterte: „Und Dank an die tollen brasilianischen Gastgeber.“