Gaza/Tel Aviv. Mitten in der Nacht begannen die massiven israelischen Luftschläge im Gazastreifen. Die Luftwaffe bombardierte am Dienstag Dutzende Ziele in dem schmalen palästinensischen Küstenstreifen, darunter auch Wohnhäuser von Hamas-Aktivisten. Die dort herrschende Hamas hatte vorher binnen 24 Stunden mehr als 100 Raketen auf israelische Ortschaften abgefeuert.
Israels Führung riss der Geduldsfaden, weniger als zwei Jahre nach dem letzten großen Blutvergießen brachte die Armee wieder eine neue Militäroperation in Gang. Auch Bodentruppen wurden nach dem vorläufigen Scheitern ägyptischer Vermittlungsversuche in Bereitschaft versetzt. Die Lage spitzte sich am Dienstagabend zu, als erstmals seit November 2012 auch die Großstädte Tel Aviv und Jerusalem wieder mit Raketen aus dem Gazastreifen angegriffen wurden.
Israels Militäreinsatz "Zuk Eitan" (Fels in der Brandung) ist die Folge einer schrittweisen neuen Eskalation im Konflikt zwischen beiden Seiten. Die neue Gewalt war durch die Entführung dreier israelischer Teenager am 12. Juni im Westjordanland ausgelöst worden. Hamas hat allerdings Vorwürfe Israels zurückgewiesen, für die Tat verantwortlich zu sein.
"Der Einsatz wird so lange weitergehen wie notwendig, wir rechnen nicht damit, dass es eine kurze Operation ist", sagte der israelische Militärsprecher Peter Lerner. Sie könnte auch zu einer Bodenoffensive ausgeweitet werden, sollte dies notwendig sein. Israel will der Hamas einen empfindlichen Schlag versetzen und den fortwährenden Raketenbeschuss seiner Ortschaften stoppen.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte zunächst versucht, eine solche Operation gegen die radikalislamische Hamas zu vermeiden. Er war deshalb aus dem rechten Lager seiner Regierung unter heftigen Beschuss geraten. Er gehe zu zögerlich gegen die Hamas vor, warfen ihm Minister wie Naftali Bennett von der Siedlerpartei und Außenminister Avigdor Lieberman vor. Lieberman brach am Montag sogar demonstrativ das Bündnis seiner Partei mit Netanjahus rechtsorientiertem Likud.
Das militärische Vorgehen gegen die Hamas, die erst vor gut einem Monat eine Einheitsregierung mit der gemäßigteren Fatah gebildet hat, birgt allerdings große Risiken. Nach der Entführung und dem Mord an drei israelischen Jugendlichen und dem mutmaßlichen Rachemord an einem palästinensischen Teenager brennt es in Israel und den Palästinensergebieten schon an allen Ecken. Täglich kommt es zu Krawallen, auch in den arabischen Wohngebieten Israels.
Israel könnte nun gezwungen sein, sich neben einem weiteren Gaza-Krieg auch mit einem neuen Palästinenseraufstand auseinanderzusetzen. "Unser eigenes Heim steht in Flammen", sagte die Chefunterhändlerin und Justizministerin Zipi Livni.
Seit dem letzten großen Schlagabtausch vor knapp zwei Jahren hatte Hamas sich zunächst für Ruhe im Gazastreifen und eine Zügelung anderer militanter Gruppen eingesetzt. Mit einer zunehmenden internationalen Isolierung und besonders nach einer israelischen Festnahmewelle von Hunderten ihrer Mitglieder im Westjordanland rückte die Organisation jedoch schrittweise wieder von dieser Politik ab.
Die schwer angeschlagene Hamas sei gegenwärtig gefährlich wie ein verwundetes Tier, sagen Beobachter. Die Raketenangriffe auf Israel auch nach Ablauf eines Ultimatums erscheinen dabei wie der Versuch eines verzweifelten Befreiungsschlags. Unter den im Westjordanland festgenommenen Hamas-Mitgliedern sind auch Männer, die vor drei Jahren im Tausch gegen den israelischen Soldaten Gilad Schalit freigekommen waren. Hamas fordert unter anderem ihre sofortige Freilassung sowie eine Aufhebung der Blockade des Gazastreifens.
Im Lauf der Umwälzungen in der arabischen Welt hat die Hamas Stützpunkte im Libanon und in Syrien verloren. Und seit dem Machtwechsel in Ägypten vor einem Jahr auch den wichtigsten Verbündeten in Kairo.
Der Geldfluss in den Gazastreifen ist unterbrochen und die radikal-islamische Palästinenserorganisation kann die Gehälter Zehntausender Angestellter nicht mehr zahlen. Damit wächst der Druck und die Frustration der 1,8 Millionen Einwohner in dem Küstenstreifen. Das Bündnis mit der rivalisierenden Fatah des Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas hat sich auch nicht wie erhofft als Rettungsmaßnahme erwiesen.
Der Militärkommentator der Nachrichtenseite "ynet" schrieb, vor allem der bewaffnete Hamas-Flügel, die Kassam-Brigaden, seien an einer breiten Konfrontation mit Israel interessiert. "Der politische Flügel wird hinterhergezerrt und hat die Kontrolle verloren", schrieb Ron Ben Jischai. Der ehemalige nationale Sicherheitsberater, Jaakov Amidror, sagte am Dienstag: "Es ist nicht Israels Ziel, den (2005 geräumten) Gazastreifen wieder zu besetzen. Aber wenn wir es nicht schaffen, eine dauerhafte Lösung zu finden, hat Israel keine andere Wahl."