Duisburg. Man kennt ihn in und um Duisburg. Jürgen Thiesbonenkamp, Vorstandsvorsitzender der Duisburger Kindernothilfe gibt am Montag sein Amt nach elf Jahren auf. Der 65-Jährige hat die größte Hilfsorganisation des Ruhrgebiets maßgeblich geprägt. Auch wenn ihm der Begriff “Kinderhilfswerk“ gar nicht zusagt.

Erlebtes bleibt. Jürgen Thiesbonenkamp wird nicht mehr vergessen, wie er in Äthiopien einen Termin hatte mit einer Selbsthilfegruppe von Frauen, und zwar morgens um halb sieben. Niemand vermochte ihm vorher zu sagen, warum sie einander so früh trafen, da fragte er die Frauen selbst. Und die einfache und völlig logische Antwort war diese: „Niemand von uns hat eine Uhr. Wir gehen zu Hause los, wenn es hell wird, das ist um sechs Uhr; und dann sind wir gegen halb sieben alle da.“

So, nun versteht man gleich besser, wie Thiesbonenkamp tickt, der scheidende Vorstandsvorsitzende der Kindernothilfe (KNH) in Duisburg. Nicht von oben denken, nicht von oben handeln; kein Almosen geben, sondern Werkzeuge. Aus demselben Grund mag der 65-Jährige das Wort „Kinderhilfswerk“ („Die Welt sieht uns als Kinderhilfswerk“) eigentlich nicht: „Da schwingt das Gefälle noch mit, so ein Sankt-Martin-Bild.“ Für ihn ist KNH ein Kinderhilfswerk mit Nebensatz: „das sich für die Rechte der Kinder einsetzt – Gesundheit, Familie, Bildung, Identität.“ Aber „Kinderrechtswerk“ geht ja nun auch wieder nicht: Wo soll man da hindenken!

Die Kindernothilfe wurde kein "Besserwisserverein"

Man kennt den Mann in und um Duisburg, den Theologen Thiesbonenkamp, der nach dem Studium zunächst anderthalb Jahre Laster fuhr, um zu sehen: Wie wohl der Arbeiter lebt? Knapp hatte er noch mit den 68ern zu tun, „man war davon infiziert, von dem Gedanken, wir schaffen eine neue Welt“.

Auch interessant

Später war er der Pfarrer von Rheinhausen, auch in der Zeit, als Rheinhausen der Name eines beinharten Arbeitskampfes war. Thiesbonenkamp wurde Superintendent in Moers und 2003 der Vorstandsvorsitzende der KNH. Elf Jahre später sagt der frühere Sozialminister Norbert Blüm (CDU) ihm nach, er habe „das kleine Boot KNH umsichtig über das große Meer des Weltelends gesteuert“. Im Gegensatz zu „vielen großen Tankern im Bereich der Hilfsorganisationen“ sei KNH „immer lebensnah geblieben“ und „kein Besserwisserverein“.

Die größte Hilsorganisation im Ruhrgebiet

Freilich: So klein ist das Boot gar nicht. Die Kindernothilfe ist die größte Hilfsorganisation im Ruhrgebiet, 58 Millionen Euro Spenden bekam sie 2013 und hilft 1,5 Millionen Kindern in 878 Projekten weltweit. „Duisburg exportiert nicht nur Stahl, sondern auch Gerechtigkeit“ – so zitiert Thiesbonenkamp einen früheren Festredner. Duisburger Bürger gründeten die KNH 1959 als Hungerhilfe für Indien; sie wurde dann soviel größer als andere Initiativen, weil sie sich eng anlehnte an die evangelische Kirche.

Mehr als zehn Jahre lang hat Jürgen Thiesbonenkamp die Kindernothilfe geführt und geprägt. Jetzt gibt er sein Amt auf.
Mehr als zehn Jahre lang hat Jürgen Thiesbonenkamp die Kindernothilfe geführt und geprägt. Jetzt gibt er sein Amt auf. © Udo Milbret/WAZ FotoPool | Udo Milbret/WAZ FotoPool

Heute sind es Projekte weltweit. Haiti, Indien, Ruanda, Brasilien, Bangladesch, Äthiopien... Projekte, die bestenfalls über sich hinaus wachsen. Thiesbonenkamp: „Wir legen die Projekte immer auch unter der Frage an: Fördert das das Recht des Kindes auf ein eigenständiges Leben?“

"Bildung ändert alles" steht auf den Plakaten

Frauen in Somaliland nennt er, die lesen und schreiben lernten und freier wurden von denen, die ihnen predigten: „Nur eine beschnittene Frau ist eine richtige Frau!“ Oder Mütter in Kalkutta, die sich dann dagegen zu wehren begann, dass die Stadt sie betrog bei den Reis-Rationen, die ihnen zustanden. Was stand auf den letzten Plakaten der Kindernothilfe? „Bildung ändert alles.“

Am heutigen Montag räumt Thiesbonenkamp sein Büro im 3. Stockwerk der Kindernothilfe. Er bleibe aber dem Hause verbunden „im Herzen ja, als Spender ja, als Pate ja“. Einen Montag später erlebt er noch seine förmliche „Entpflichtung“ vom Amt. Furchtbar protestantisches Wort.