Im Soziussitz kann man sich Sigmar Gabriel nicht vorstellen. Der SPD-Chef stellt Angela Merkels Spardiktat in der EU auch deshalb in Frage, weil die CDU-Kanzlerin nicht allein in der Großen Koalition bestimmen soll, wohin die Reise geht. Er greift nach dem Lenker. So weit, so rollentreu. Aus Unions-Perspektive sieht es anders aus, dramatisch anders. Die Stabilitätspolitik ist der Kern von Merkels Glaubwürdigkeit, ihres Wahlerfolgs, der Identifikation mit ihr, der Wirtschaftskompetenz der CDU. Wenn die Kanzlerin Zugeständnisse macht, wird der CDU blümerant – und die AfD darf sich gestärkt fühlen. Es wäre auch in der Sache falsch. Die Lehre aus der Finanzkrise ist, den Schuldenabbau ernst zu nehmen.

Wer die Defizitkriterien verwässert, sich von Italienern und Franzosen einlullen lässt, zwischen guten und schlechten Schulden trennt, darf sich über eine kreative Buchführung nicht mehr wundern. Dass Gabriel sich auf die Seite der Südländer schlägt, muss Merkel als illoyal empfinden.

Spätestens hier ist der Zeitpunkt gekommen, innezuhalten, es aus der Sicht von Franzosen, Italienern oder Spaniern zu betrachten. Bei wenig Wachstum und niedriger Inflation haben sie keine Chance, den Abstieg vom Schuldenberg zu schaffen. Ein Präsident wie Francois Hollande begehrt gegen Merkels Dominanz nicht aus Übermut auf. Es ist die pure Not. Innenpolitisch droht Frankreich ein Rechtsruck. Nebenbei dürfen die Gabriels und Hollandes einen Preis dafür verlangen, damit sie einen bürgerlichen Politiker wie Jean-Claude Juncker zum neuen Kommissionspräsidenten wählen.

Einen Neuanfang halten die Krisenländer nur aus, wenn man sie unterstützt. Man kann den Stabilitätspakt umdefinieren oder darauf beharren, aber dann beim Schuldenabbau helfen. Nicht zufällig hat der Sachverständigenrat einen Tilgungsfonds vorgeschlagen. Das liefe auf eine Vergemeinschaftung der Schulden hinaus. Doch das hat Merkel etwas vorschnell abgelehnt.

Gabriel spricht von „Reformen gegen Zeit beim Defizitabbau“. Er lenkt so die EU-Politik in eine andere Richtung als Merkel. Für die Kanzlerin wäre es der richtige Zeitpunkt, um klarzumachen, wer lenkt und wer nur im Soziussitz mitfährt.