Mossul. .

Die Grenzsoldaten waren längst über alle Berge. Stolz zertrümmerten die Kämpfer in schwarz mit einem Bulldozer Kontrollposten, während andere lässig vor den eroberten Humvees der irakischen Armee posierten. „Wir reißen die Sykes-Picot-Grenze nieder“, twitterten die Vermummten unter ihre Fotos. Die 1916 am Ende des Osmanischen Reiches von Großbritannien und Frankreich willkürlich gezogene Staatsgrenze existiert für sie nicht mehr. Die Terrorgruppe „Islamischer Staat von Irak und Syrien (Isis)“ will ihr eigenes grenzübergreifendes Kalifat errichten aus den Ostregionen Syriens und den Westregionen des Irak. Und seit ihrem Sturmangriff über Mossul und Tikrit in Richtung Bagdad sind die Extremisten ihrem Ziel näher denn je.

Deutscher sprengte sich in die Luft

Schätzungsweise 7000 bis 10 000 Kämpfer gehören nach US-Erkenntnissen zu ihren Brigaden, darunter auffallend viele Ausländer – Araber aus der Golfregion und Nordafrika, aber auch Deutsche, Franzosen, Briten und Tschetschenen. Die USA bestätigten kürzlich den ersten Selbstmordanschlag eines US-Bürgers. Auch ein junger Deutscher aus Solingen hat sich offenbar in die Luft gesprengt.

Nach Schätzungen von Brüssel sind mindestens 1000 Europäer in Syrien und Irak als Gotteskrieger aktiv – die meisten lassen sich von der extrem radikalen Isis anwerben, die ihren Kämpfern mit 400 Dollar im Monat dreimal so viel zahlt wie die anderen. Die Mittel stammen überwiegend aus Kreisen reicher Bürger in Saudi-Arabien, Qatar und Kuwait. Auffällig sind die langen Kolonnen neuer, PS-starker Geländefahrzeuge – alle vom gleichen Typ und offenbar in großen Stückzahlen eingekauft. Zusätzlich fielen den Terroristen jetzt in Mossul Unmengen an Waffen und Fahrzeugen in die Hände sowie 480 Millionen Dollar Bargeld aus Banktresoren. Am Mittwoch machten sie mit einem eroberten Black-Hawk-Hubschrauber einen ersten Rundflug über die Zwei-Millionen-Metropole. Aus den Gefängnissen in Mossul und Tikrit befreiten sie mehr als 3000 Gesinnungsgenossen, die jetzt mit an ihrer Seite kämpfen.

In Training und taktischen Fähigkeiten sind die Extremisten nach Einschätzung von Militärfachleuten den Soldaten der syrischen und irakischen Armee überlegen. Ihre Scharfschützen sind gefürchtet. In eroberten Städten wie in Fallujah graben sie verzweigte Netzwerke unterirdischer Tunnel, die es ihnen erlauben, überraschend anzugreifen. Treibende Kraft hinter dieser militärischen Professionalisierung ist ein ehemaliger Islamgelehrter mit Kriegsnamen Abu Bakr al-Baghdadi.

Überall, wo sich seine Kämpfer einnisten, plündern sie die Bevölkerung aus, beschlagnahmen humanitäre Hilfslieferungen und errichten ein drakonisches Scharia-Regime. Musik und Tanz sind verboten, Christen müssen Schutzgeld zahlen. Gegner werden öffentlich enthauptet, Dieben auf den Marktplätzen die Hand abgeschlagen, andere aus nichtigen Gründen als Gotteslästerer erschossen.

Ein Hilferuf aus dem Irak erreichte jetzt die Caritas in Essen. Der chaldäisch-katholische Erzbischof von Mossul, Amel Nona schilderte am Telefon die Lage: „Jetzt sind auch die letzten Christen aus Mossul vertrieben und die meisten Kirchen angezündet worden.“ Die meisten Christen, rund 1000 Familien, also rund 5000 Menschen, seien vor den dschihadistischen Kämpfern ins Umland, in christliche Dörfer in der Nineveh-Ebene geflohen, viele auch in den kurdisch kontrollierten Bereich. Immer mehr Menschen müssten die Flucht ergreifen.

Caritas bittet um Spenden

Die Vorräte an Nahrung und Trinkwasser gingen in den kommenden zwei bis drei Tagen zur Neige. Nona selbst hält sich in der Stadt Telkef in seiner Diözese, etwa 20 Kilometer von Mossul entfernt, auf. Nach internationalen Medienberichten sind bis zu 500 000 Menschen vor den Rebellen auf der Flucht.

Da akute Nahrungsmittelknappheit droht, schickt die Caritas im Ruhrbistum am kommenden Samstag eine Lastwagenladung Lebensmittel von Dohuk (in der Autonomen Region Kurdistan/Irak) aus in die betroffene Region. Geliefert werden sollen Grundnahrungsmittel, d.h. Reis, Öl, Bohnen, Trinkwasser, etc. – also Güter, die das Überleben der Flüchtenden sichern.

Die Caritas ist auf Spenden angewiesen und bittet die NRZ-Leser um Mithilfe: Caritasverband, Stichwort: „Flüchtlinge Nordirak“, Kontonummer 14 400, BLZ 360 602 95 (Bank im Bistum Essen).